Wir, die wir in Deutschland leben und Teil einer Demokratie sind, erlebten das Privileg des Friedens und waren bisher immer eine Art Sonderweg gegangen. Hielten uns zumindest in den geografisch näher liegenden Konflikten weitestgehend in einer neutralen Position. Wo sich Generationen zuvor noch im Konflikt mit der UdSSR und den sozialistischen Staaten des Ostens abgezeichnet hatten, schwelen seit dem 24. Februar 2022 heftige Brandherde an den Rändern der EU. Ein kalter Krieg 2.0?
Nun wo der Kampf um die Demokratie blutige Opfer fordert, weigern sich die Regierung der Mitte tatsächlich zu handeln und diese Zeitenwende nicht nur anzukündigen, sondern ihr Taten folgen zu lassen. Was würde es bedeuten, wenn Deutschland zum ersten Mal offiziell Waffen in ein Kriegsgebiet liefere? Der Ausnahmezustand lässt zumindest viele Menschen aktuell in dunkle Zeiten zurück blicken, nicht nur von den Logen der Opernhäuser aus. Andere hingegen arbeiten am Comeback des weißen Mannes als solides und solitäres Ideal der Zeitenwende. Warum nur ist der Faschismus wieder in fashion?
Pracmatism ≠ Populism
Außer Lippenbekenntnissen, drohender Inflation und einer größeren Last auf den unteren Schichten bleibt nicht viel übrig vom steuerfinanzierten Sondervermögen und der Zeitenwende. Nichts außer einer Mitte die weiter ausdünnt und einen Graben zwischen rechts und links, aber auch oben und unten hinterlässt. Waffen werden zwar keinen Frieden schaffen, doch wir müssen uns leider wieder mit ihnen auseinander setzen.
Diese Auseinandersetzung mit dem vererbten Konflikten einer “Familie” wie der europäischen ist unausweichlich, um einen klaren Kontext und vielleicht auch einen Kompromiss zu finden. Eine Demokratie wie die Deutsche und die einhergehenden Freiheiten und Pflichten mussten in der Vergangenheit unseres Kontinents zumeist erkämpft und kontinuierlich verteidigt werden.
Neutral oder doch opportun?
Diese populistische Politoper bestaunend und in meiner vermeintlich neutralen Haltung verharrend, wundere ich mich über die lauter werdenden Stimmen und warum Deutschland Waffen liefern sollte? Haben wir nicht bereits einen Teil des Staatsetats mit Waffenlieferungen an andere Länder verdient? Und wichtiger noch, gäben wir damit nicht unseren “bequemen Sonderstatus” auf? Eine Frage die sich auch die Schweiz anlässlich dieser anhaltenden Debatte und der eigenen Historie stellt.1
Futurisms ≠ Pacifism
Wir lassen es also zu, dass durch Videospiele, Filme und nicht zuletzt auch wieder eine deutsche Streaming-Produktion über die Bundeswehr allerlei imaginäre und tatsächliche Gewalt verherrlicht wird und wundern uns dann über eine von der Pandemie geschüttelte und isolierte Gesellschaft, deren mentaler Zustand dem während eines Krieges gleicht?
Die neutrale Art und der deutsche Sonderweg sind Lippenbekenntnisse und nicht mehr als leere Worthüllen, ohne bisherige Wirkung. Die vielen -Ismen die gerade ein Comeback proben, bestätigen die alten weißen Männer in sozialer Isolation und dies ist nur ein Teilaspekt des Übels.
Es muss im Besonderen wieder um die Freiheit des Individuums in einer globalen Kolonialisierung gekämpft werden und der Imperialismus einer neuerlich aufkommenden und sozial isolierter Maskulinisten gestoppt werden. Zu verdanken ist diese mentale Gradwanderung einer zu lockeren und kurz gedachten Energiepolitik und einer Diplomatie des feudalen Opportunismus. Jedoch ist auch diese Situation nichts neues und kann nur durch ernsthafte Friedensbemühungen und nicht durch weitere Aufrüstung beigelegt werden. #Sondervermörgen
Die Folgen des Futurismus in der Praxis
Gesellschaftlich sind und waren Kriege immer eine Katastrophe und wie es die dystopischen Stimmen des Futurismus bereits 1929 auf menschenverachtende Weise darlegten, erleben wir mit dem Übergriff Putins in die Ukraine im Jahre 2022 eine neue Welle von Maskulinisten und Faschisten als Antwort auf den Progress der kollektiven Menschenrechte.
Feminism ≠ Masculinism
Mich erinnert das alles an die Reaktionen der früheren Arbeiterklassen auf die weltfremde Einflussnahme durch Politik und die gebildete Oberschicht im frühen 20. und 21. Jahrhunderts. Angesichts der Worte eines Kanzlers gegenüber Klimaaktivisten und seiner Zuordnung dieser ins faschistische Milieu frage ich mich wirklich, ob das SPD geführte Kanzler:Innenamt die Dringlichkeit einer eindeutigeren Position versteht oder ob das Motto gemeinhin nur „stiftet weiter Verwirrung“ lautet.
So etwas ist auch in der deutschen Geschichte schon einmal nach hinten losgegangen. Nach knapp einem Jahr Ampelregierung lässt sich beobachten, dass auch das Kabinett aus Lindner, Scholz, Baerbock, Habeck und Co. eher noch die Dinge „ausgemerkelt“ und erst dann reagiert, wenn es fast zu spät sein könnte.
Sich wirklich für eine politische Entscheidung und den damit einhergehenden Konsequenzen einzusetzen würde ja schließlich erneut regieren bedeuten. Das schließt eine feministische Außenpolitik nicht aus, da sie zum ersten Mal in Jahrhunderten eine Geschichte schreiben würde, die auf Augenhöhe stattfände. Allem voran ist sie vor allem bemüht, den Kriegen endgültig ein Ende zu setzen und Autokraten aus dem Amt zu entheben.
Die Opportunity sich für den Frieden ein zu setzen
Dieser Opportunismus ist nicht neu für die etablierten Parteien und da schließe ich die CDU als Opposition in ihrer neuerlichen Prophetenrolle gedanklich nicht aus. Passt ja auch genau jetzt das christlich aus dem Schrank zu holen, wenn Europa laut Putin entnazifiziert wird und nach Glaubenssätzen schreit. Verwunderlich ist nur, dass es so lange dauerte bis sich die übliche Cancel Culture auch in Politfragen bzw. in der Causa Schröder innerhalb der SPD durchgesetzt hat.
Bisher war es ja üblich die Schattenseiten von Globalismus und neutralen Märkten unkommentiert unter den roten Teppich zu kehren. Und als der totalitäre Ostblock als Problemkind ausgedient hatte, erklärte die Politik den Westen und die Gebote des Kapitalismus zu den neun Götzen der vornehmeren Mitte.
Absolutisms ≠ Opportunism
Nach den Maßstäben des innereuropäischen Wohlstandes haben viele Feminist:Innen und weiblich gelesene Mitglieder der Gesellschaft inzwischen zwar viel erreicht, doch noch lange keine Gleichheit. Warum also fühlen sich Männer wie Putin in ihrem Ansehen als alter weißer Mann bedroht, nur weil sie in diesem endlosen Rausch aus Raub, Mord und Aggression mit dem Ziel eine Frau, in diesem Fall die Allegorie der Ukraine – nicht für sich beanspruchen dürfen?
Russland wird durch das Verhaltenen eines modernen Diktators und Absolutisten, kollektiv als Nation zum absoluten Feind erklärt. Doch sollte es vielmehr als die Schuld derer angesehen werden solle, die nun hinschauen aber nicht ihr individuelles Gewicht für einen friedlichen Ausgang des Konflikts in die Waagschale werfen.
Im Übrigen würde eine andere Sichtweise wieder nur verqueren Nationalisten Aufwind geben. Um dies jedoch zu verhindern muss verhandelt werden und Chancen genutzt werden, die dem Frieden die Möglichkeit geben ein alltägliches Konzept zu werden. Das dieser Frieden weder opportun noch absolut sein kann, hat die Geschichte und ihre wiederkehrenden Konflikte oft genug bewiesen. Eine absolute Wahrheit in einer opportunen Welt kann also nicht bestehen und muss konstant neu ausgehandelt werden.
Die Bürde sich ebenfalls verantwortlich zu fühlen
Absolutistisch wäre es, wenn unabhängig von der toxischen Männlichkeit und der totalitären Kriegswut einiger weniger, kollektives Denken im individuellen, nicht nur ein Zeichen von Größenwahn, sondern eben eine Tugend sein würde und jede*r die eigenen Regierungsgeschäfte im Sinne des Gemeinwohls in Anspruch nehmen würde.
1 König:Innenwürde für alle sozusagen und die Angewohnheit dem Umfeld mit demselben Respekt zu begegnen, welcher im eigenen Umgang gewünscht wird. Doch im Parlament rufen nach einem Jahr mit dem patriarchalen Schweigens des Kanzlers, wieder alle nach den Stärken Angela Merkels und den ruhigeren Fahrwassern einer dezent-royalistisch veranlagten Gesellschaft, so zumindest in der Bubble der gewisser Leser:Innen.
Socialism ≠ Totalitarianism
Dieser Konflikt der bedrohten Menschenrechte der sich global auszubreiten versucht, ist jedoch definitiv keine Folge der Forderungen einzelner Individuen. Oder gar das Ende im Kampf um Freiheiten einer historisch bzw. gesellschaftlich marginalisierten Gruppe.
Es ist jeder noch so kleine Erfolg und die Möglichkeit gehört zu werden derer, die unter generell schlechten Bedingungen oder in einem menschenverachtenden Systemen leiden mussten oder es weiter tun. Aber wenn wir die Macht haben etwas zu verändern, warum scheitert dann der gute Wille so oft an der Realität?
Weil es keine absolute Wahrheit in dieser Lage gibt, nur Leid und die Hoffnung auf Veränderung. Doch totalitären Regimes ist es egal, wie viele Menschen sterben müssen für den Wohlstand und den Machterhalt einer menschenverachtenden Gesellschaft und ihrer nicht neuen Ideologie eines faschistischen Weltbildes. Um dies zu verhindern verlangt es Courage und ein starkes Miteinander, entgegen des Komforts von billigem Gas und ohne Arroganz, die auf Distanz und Wohlstand gründet.
Imperialism ≠ Empiricism
Da wäre ich wieder bei den Kronjuwelen angekommen, denn um die geht es ja in diesem jahrhundertealten Konflikt zwischen dem neo-zaristischen und imperialistischen Plänen Putins und der sich sträubenden Ukraine. Während den (ehemaligen) Monarchien der europäischen Union mit den gestiegenen Heizkosten für Paläste und Industrie die Grundpfeiler verloren zu gehen droht, bleibt der Ukraine nur die Hoffnung auf das große Wunder.
Besonders fast zwei Jahrhunderte nach der Regentschaft Queen Victorias bleibt zu hoffen, dass die Ukraine zur Einheit gestärkt und nicht wieder als Zielscheibe und Zankapfel zwischen den konträren Vorstellungen von Ost und West hervor gehen wird. Ein Drama, dessen Urkonflikt sich nicht zum ersten Mal wiederholt und doch bedingen beide einander in hegelscher Weise in diesem Kampf um die Grundfesten der Demokratie.
Wer immer nur nach unten tritt, muss jedoch zwangsläufig auf mit dem Umsturz und der Palastrevolte rechnen. Hoffentlich findet diese nun in den Parlamenten statt. Denn es bleibt die Forderung nach einer Zeitenwende, die nicht auf Kosten der ärmsten und marginalisierten Bürger:Innen gründet.
Der Wert von Freiheit und Menschenrechten in einer sozial-liberalen Demokratie sollte im politischen Gesamtgefüge vorrangig die Waage halten. Ob uns dieser tradierte „deutsche Sonderweg“ noch einmal gelingen wird, bleibt in Anbetracht von Inflation, Krieg und dem Wunsch der Ränder nach sozialer Gerechtigkeit, weiter eine Frage des Respekts und diplomatischer Verhandlungsgeschicke.
Quotes/ Sources
- (Filippo Tommaso Marinetti) vgl. Kunstzitate // Arte: Chronik einer Diktatur
- Vgl. Sternstunden der Philosophie: Ist die Schweiz wirklich noch neutral? SRF
#Dialogue
7 responses to “Zeitenwende: Warum so viele ‘Isms?”
[…] Völker und Kulturen erwies. Eine Thematik, die jedoch unter westlichen Gesichtspunkten auch die Frage nach patriarchalen und maskulinen zentrierten Machtstrukturen wieder in den Fokus rückt u…. Die Künstler*Innen der Ausstellung sind besonderen Frauen und teilweise die letzten mit diesem […]
[…] Working across video, installation, painting and performance, these artists create a spectrum of voices to consider issues such as the politics of health, the resilience of Indigenous knowledge systems, forms of kinship, fair land use and its distribution, decoloniality and the rights of the non-human, all of which have become more palpable due to the acceleration of the climate emergency, global pandemics, political instabilities and the rise of authoritarian and populist regimes. […]
[…] Während dessen verbreitet sich weiter die Angst ausgeschlossen zu werden, unter denen, die noch keinen Impftermin haben oder ihren Impfpass nicht mehr finden. Die Schuldigen sind also gefunden. Die Deutschen lieben ihre Dokumente. Aber ganz so einfach ist nicht. Denn wie bitte soll sich eine Bundesbürgerin gedanklich die Differenz zwischen Querdenkern, Nazis und dem eigenen eventuell nicht biodeutschen, kulturellen Background vereinigen? Aber tragen Sie weiterhin Maske, gehen Sie arbeiten und bleiben Sie zu Hause ist die Devise. Was denn nun? Ist der Regierung am Ende auch aber auch egal. 3,4 Millionen sind infiziert, 80.000 gestorben, aber Ziel der CDU Spitze ist es das menschliche Defizit durch die Wirtschaft auszugleichen. Wie wäre es denn, wenn die rabenschwarze Spitze, das Militärbudget – mit insgesamt 1,3 Milliarden zusätzlich im Jahre 2021 – ein bisschen anders verteilt hätte? Aber wir Wettrüsten lieber, analog nur digital leider nicht. Und so bleibt auch der kleine Vermerkt im Impfass, wieder nur ein weiterer Beweis für eine Wohlstandsbürokratie ohne wirklichem Plan aber dafür mit jeder Menge Ressentiments. […]
[…] Oscar Lebeck widmet sich in seinem Projekt „Freilegung“ dem KZ Außenlager Falkensee, in dem zumeist Widerstandskämpfer und Kriegsgefangene aus Frankreich, Norwegen, Polen und der Sowjetunion untergebracht waren. Anna Barnaföldi beschäftigt sich mit gegenwärtigem bürgerlichen Engagement. Sie möchte die Unterschiede zwischen west-, mittel- und osteuropäischen Ideologien der Demokratie …. […]
[…] reflect human moods and emotions – like mirrors for the soul. The works on display also relate to recurrent and contemporary issues such as emancipation, the causes of colonialism, imperialism an…. Double Act is a tribute to the power of […]
[…] der Flucht eines männlichen Verfolgers. Eine Thematik, die unter westlichen Gesichtspunkten auch die Frage nach patriarchalen und maskulinen zentrierten Machtstrukturen wieder in den Fokus rückt u…. Die Künstler*Innen der Ausstellung sind besonderen Frauen und teilweise die letzten mit diesem […]
[…] eines Individuums auf die veralteten Prinzipien des Patriarchats als Quelle fusst. Das Phanomen des Futurismus als eine Rückkehr zur Diktatur der Maskulinisten ist ein nichht ungefährliches Spiel. Die Frage […]