Die brasilianische Künstlerin Isabelle Borges fasziniert mit ihrer Übersetzung von Naturerlebnissen in Kompositionen, in denen Linien mit Flächen tanzen und Farbklänge von Orange und Gelb gegenüber tiefem Grün und Blau die Empfindungen von Licht, Wärme und Poesie wecken.
A POINT IN SPACE – ISABELLE BORGES
Ausstellung:
NOV 26 – JAN 11, 2025
OPENING: NOV 26, 6 – 9 PM
Die FWR Galerie lädt herzlich zu “A POINT IN SPACE”, der zweiten Ausstellung mit Isabelle Borges, ein. Die Eröffnung findet am Dienstag, den 26. November 2024, von 18 bis 21 Uhr in Anwesenheit der Künstlerin statt.
INTERVIEW
Unseren Studiobesuch bei ISABELLE BORGES haben wir genutzt, um gemeinsam einen Blick auf ihre neuen Werke zu werfen. Wir sprachen mit Isabelle über ihre Arbeitsweise, über ihre Wahrnehmung und Empfindung von Natur und Raum sowie über ihre Gedanken zum Verhältnis zwischen Kultur und Identität – und über die Poesie der Abstraktion!
Liebe Isabelle, deine Ausstellung trägt den Titel „A Point in Space“. Um welche Art von Raum geht es in deiner Malerei? Und wo finden wir den Punkt, auf den sich womöglich Alles bezieht?
Isabelle Borges: Ich interessiere mich für einen poetischen Raum, einen Raum hinter dem Raum, für die Zwischenräume in gegebenen Strukturen, besonders in Naturstrukturen.
Die Kombination von abstrakten wissenschaftlichen Ideen darüber, was Raum ist, kombiniert mit einer transzendentalen poetischen, spielerischen Wahrnehmung, das ist es, was mich beschäftigt. Mit anderen Worten, die Kombination von äußerer Realität und Innenwelt, das ist der poetische Raum, dem ich nachspüre.
Der Punkt im Raum ist eine Hommage an eine Kurzgeschichte mit dem Titel `das Aleph´ von Jorge Luis Borges. Da geht es um einen undefinierbaren Punkt, in dem alle Punkte enthalten sind. Es ist der Anfang aller Dinge. Es bezieht sich auf Zeit und Raum. Und auf das Unendliche. Diese poetische und spirituelle Suche fasziniert mich. Ich gehe in der Natur spazieren und suche nach Strukturen, einer „versteckten Botschaft“, einem Rhythmus, einem Gedicht, einem Punkt, Linien und Farben. In diesem Sinne lasse ich die Interpretation dessen, was dieser Punkt ist, oder was dieser Raum sein könnte, offen.
Deine Bilderwelt ist konsequent gegenstandslos. Du arbeitest in deiner Malerei ausschliesslich mit den Gestaltungsmitteln der Abstraktion wie wir sie aus der Moderne kennen: Farbe, Linie, Fläche. Und doch gibt es individuelle Besonderheiten: deine Farbflächen faden von einem nahezu nächtlichen Dunkelblau hinüber in ein brillantes Azurblau; auch deine Linien verändern immer wieder den geraden Lauf, d.h. sie knicken ab und wieder ein, sie kreuzen einander, sie sind mal fein wie ein Haar und dann wieder breit wie ein Balken. Es ist so, als ob sie miteinander kommunizierten, vielleicht sogar miteinander tanzten. Was suchst und findest du in deiner Welt der Abstraktion?
IB: Obwohl meine Wurzeln im Modernismus liegen, wo Farbe, Linien, Flächen und geometrische Formen eine wichtige Rolle spielen, mache ich keinen Unterschied zwischen Abstraktion und Figuration. Vielmehr tauchen in meinen Bildern beinahe so etwas wie Figuren auf. So sind es abstrakte Formen, die ich gerne für Interpretationen offen lasse.
Die verschiedenen Linien schaffen Räume, Richtungen, sie verändern sich ständig. Es ist fast wie eine Musikpartitur. Ich finde Assimilationen, Erinnerungen an etwas längst Vergessenes. Ich finde Gedichte in den Strukturen, die dann in geometrische Formen abstrahiert werden. Die Wahrnehmung kann jeder Betrachter so lesen, wie er möchte. Die Farb(e)gebung entsteht im Prozess des Malens, es ist ein intuitiver Prozess.
Es scheint bisweilen, als schlügen kulturell zwei Herzen in deiner Brust. Deine familiären Wurzeln liegen in Brasilien und du hast auch in Brasilia und Rio de Janeiro studiert. Mehr als die Hälfte deines Lebens bist du bereits in Deutschland ansässig, hast an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert und bist heute in Berlin ansässig. Wie lebst du deine kulturelle Identität zwischen Südamerika und Deutschland? Welche Bedeutung hat das für deine künstlerische Arbeit – auch hinsichtlich deiner kunsthistorischen Prägungen durch den brasilianischen Neokonkretismus der 1960er Jahre und der zeitgleichen US-amerikanischen und europäischen Abstraktion?
IB: Ich fühle mich in beiden Ländern zu Hause, meine Muttersprache ist Portugiesisch. Das spielt eine wichtige Rolle, denn es enthält Bedeutungen, Erinnerungen und Emotionen, die Identität schaffen. Nichtsdestotrotz habe ich starke Wurzeln in Deutschland, besonders in Berlin, da ich hier länger als irgendwo anders gelebt habe. In Berlin habe ich begonnen, eine tiefere Verbindung zur Natur zu entwickeln.
Da wo ich lebe bin ich schnell in der Natur. So lange in einer Stadt zu sein, ist etwas, das ich als Kind nicht kannte. Der zeitliche Abstand und die Entfernung hat es mir ermöglicht, die verschiedenen Identitätsfragmente, die ich in mir trage, zu sammeln und mich ihrer zu versichern. Hier in Berlin kann ich meine brasilianischen Wurzeln besser erkennen, besonders in der Entwicklung meiner künstlerischen Sprache. Diese ist sehr bewusst eine Kombination aus den kunsthistorischen Entwicklungen beider Kulturen.
Eine Kombination aus dem Erbe des brasilianischen Neokonkretismus und dem Einfluss des europäischen Modernismus. Die New York School war eine große Inspiration während meines Studiums, besonders in Rio. Die Hard-Edge-Felder, die großen abstrakten Formate haben mich immer interessiert.
Trotz der geometrischen Strenge deiner bildnerischen Kompositionen strahlt deine Malerei eine bezaubernde Leichtigkeit aus. Deine Bilder fordern den Betrachter auf, in einem gemeinsamen imaginären Raum zu performen. Und zugleich steckt in dieser partizipativen Wahrnehmung eine menschliche Misere. Wenn der Raum einerseits als intensional, also nach Innen gerichtet und damit als Kraftpunkt empfunden wird, und zugleich seine extensionale Dimension inform seiner Wirkungskraft nach Außen und als sich Auflösendes spürbar ist. Was bedeutet das für die Beziehungen von Menschen, die heute zunehmend in virtuellen Räumen stattfindet? Und welche Magie wünscht du dir, mit deiner Malerei auf dein Gegenüber weiterzugeben?
IB: Im Grunde geht es mir darum, zu Fragen anzuregen, welche die Menschen zu einer Wahrnehmung von Zeit und Raum zurückbringen. Um sie zu einem Bewusstsein für den gegebenen Moment anzuregen, fast wie ein Versuch, das ständige Informationsbombardement zu verlangsamen und die Wahrnehmung von Farbe, Linie und Raum zu fördern. Durch die Verwendung einer fast organischen Geometrie versuche ich, eine metaphysische Sensation zu erzeugen.
Meine Bilder brauchen Zeit. Und damit man die Tiefe der Schichten in den Oberflächen erkennen kann, die mit vielen transparenten Oberflächen erstellt wurden, ist auch der Betrachter gefordert, sich Zeit zu nehmen. Die Geometrie scheint eine scheinbar chaotische Naturstruktur zu organisieren. Denn meine Kompositionen entnehme ich Fotografien, die ich an einem See am Berliner Stadtrand gemacht habe.
Bisher konnte ich nur von diesem speziellen See die Inspiration für meine Forschung holen. Es ist ein Ort, mit dem ich mich emotional verbinden muss. Durch den dunklen See und die Spiegelungen der Pflanzen auf dem Wasser suche ich nach kleinen Gedichten. Man könnte fast sagen, Musikkompositionen.
Ein Versuch, das Chaos zu ordnen und in den Zwischenräumen zwischen den Zeilen etwas zu finden, das alles verbindet. Manchmal sehe ich tanzende Figuren, Buchstaben … eine architektonische Konstruktion … Und ich lasse die Interpretation meiner Bilder gerne offen, damit jeder Betrachter darüber nachdenken kann.
Über die Künstlerin:
ISABELLE BORGES (*1966 in Salvador, Brazil, lebt und arbeitet in Berlin und Rotterdam) absolvierte im Anschluss an ihr Studium der Sozialwissenschaften in Brasilia das Studium der freien Kunst an den Kunstakademien in Rio de Janeiro und Düsseldorf. 2020 und 2022 wurde Isabelle Borges mit dem Arbeitsstipendium «Neustart Kultur» des Kunstfonds, Bonn ausgezeichnet.
In Brasilien hatte sie u.a. Einzelausstellungen im Brasilianischen Museum für Skulptur MUBE, São Paulo (2013) und im Museum der Republik, Rio de Janeiro (2000). Im Rahmen der 14. internationalen Curitiba Biennale bespielte sie einen grossen Saal im Museum Oscar Niemeyer, Curitiba (2019/2020) und stellte zuletzt im Museu de Arte Moderna in Salvador (2022) in der Themenshow „Utopias e Distopias“ aus.
Borges realisierte im Mies van der Rohe Haus, Berlin eine Wandmalerei mit Installation (2021) und hatte eine Soloshow im Till Richter Museum in Buggenhagen (2021). 2022 präsentierte sie neue Druckgrafiken im Kunstverein Meißen (2022). 2023 hatte sie Duoshows mit Haleh Redjaian in der Galerie Nanna Preußners, Hamburg sowie mit Yisu Kim bei Frank Taal, Rotterdam.
Im kommenden Jahr 2025 stellt Isabelle Borges im Kunstmuseum Ahlen, sowie im Rahmen der Kulturhauptstadt 2025 in Chemnitz aus. Die Werke der Künstlerin sind in institutionellen und privaten Sammlungen Brasiliens und Europas vertreten.
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