Die Verlierer der neuen und alten Norm
Während die Preise in den Supermärkten weiter anziehen und die Ampel sich in der Haushaltsdebatte für ihre besonders cleveren Sprüche á la Alice im Wunderland feiert, leidet ein Teil der Bevölkerung weiter am meisten über die Merklsche Taktik. Die Schaubühne hat hierzu ein Stück erarbeitet, welche den Besucher*innen die Konsequenzen der liberalen Wohlstandsgesellschaft den Spiegel vorhält und aufzeigt, wie weit die Krise bereits nach einem Jahr der Ampel und den Oppositionskämpfen im deutschen Bundestag vorangeschritten ist.
Zu Beginn scheint alles wie gewohnt, es gibt diejenigen die weiter ohne Nachsicht konsumieren und sich das Ticket zu den heiligen Hallen und den endlosen Vorräten schlichtweg erkaufen können und diejenigen, die den Mist hinterher aufräumen dürfen. Zu alt für einen ordentlichen Job, zu sensibel oder nicht bio-deutsch genug für die „normativen“ Belastungen oder zu abgebrüht, um sich weiter mit menschlichen Interessen zu befassen.
Die Gießkanne und der Fehlgedanke an der Logik der liberalen Blase
Doch diese vermeintlichen Versager aus den vergessenen und stets unterdrückten Gesellschaftsschichten, die jeden Cent dreimal umdrehen müssen enden in Get Closer // Beyond Care dort wo sich niemand mehr freiwillig hintraut: auf den Knien herum rutschend, schrubbend und den Müll der Wohlstandsgesellschaft entsorgend. Dabei wird bildhaft anhand der Schauspieler*innen aufgezeigt, wie wenig von dem Gießkannenprinzip tatsächlich unten ankommt.
Während die Aussicht auf einen würdevollen Beruf für alle Darstellenden außer Reichweite geraten ist, sind es besonders die kleinen und feinen Details des Stückes, welche die Hoffnungslosigkeit und das Dilemma einer vergessenen Klasse am meisten verdeutlichen. So grüßen sie einander zu Beginn von Get Closer // Beyond Caring nicht einmal, der Kaffee ist nicht kostenlos, verteuert sich dazu ständig und das Geld reicht bei allen vorn und hinten nicht. Wie sich im weiteren Verlauf des Stückes noch heraus kristallisieren wird, geht es für die Beteiligten nur weiter bergabwärts.
Hartz IV: zu wenig um zu leben, zu viel um zu sterben
Der Vorgesetzte schert sich einen Dreck um seinen Mitarbeiter*innen, das gesammelte Flaschenpfand muss als Finanzquelle herhalten, Essen wird zwar geteilt aber mit Gier und Futterneid als stilistisches Mittel auf die Spitze getrieben. Eine Sache die durchaus kein Novum mehr darstellt, sondern eine reale Bedrohung geworden ist. Als die alleinerziehende Mutter nach einem freien Tag fragt, um ihre Tochter zu unterstützten, wird sie durch den Vorgesetzten gnadenlos auf die weitere Versklavung hingewiesen. Gesellschaftlich betrachtet, werden die Charakter durch patriarchale und stumm akzeptierte Normen eine kapitalgetriebenen Politik weiter ausgebeutet und mit geringfügigen Tätigkeiten beschäftigt und den Preis für den Wohlstand einer liberalen Neuordnung zu begleichen.
Leben um zu Überleben
Das wenige Hartz VI reicht für einen der darstellenden Putzkräfte nicht einmal mehr für einen Schlafplatz und als diese sich nach Schichtschluss gegen zwei Uhr nachts in der Fabrik einzuschließen versucht, wird sie knallhart rausgeworfen. Keine Chance, kein Ausweg aus dem finanziellen und gesellschaftlichen Dilemma und keine Hoffnung auf einen menschlichen Neuanfang in Würde.
Den anderen ergeht es nicht besser. Der Hausmeister kann sich nur durch Tagträume und seine Romane am Leben erhalten und entzieht sich seiner Verantwortung. Als alle sich zu Tisch einfinden wird klar, dass die Frauen und das Spektrum keine Chance in diesem asymmetrischen und von Männern dominierten Machtstrukturen haben.
Die Würde des Menschen…
Als die Charaktere sich in dem Stück endlich näher kommen, eskaliert die Sache endgültig. Neid regiert die miserablen Verhältnisse und führt zu unvorhergesehenen Ereignissen, wie dem Bedürfnis nach Berührung, mentaler wie physischer Ernährung und nicht zuletzt zum emotionalen Supergau. Wo viele Zuschauer*innen noch aus vollem Herzen über die Versager des Bread Winner Games lachten, bleibt ihnen im Verlauf der Handlung immer wieder das Lachen im Halse stecken. Zu recht, denn sowohl die Blase dieser liberalen Neuordnung wund um “Minijobs” und auch das „Weiter So“ der Opposition hat sein Jahren ein großes Loch.
Spätestens als die Darstellenden eine doppelte Schicht schieben müssen, die nicht einmal dem aktuellen Mindestlohn entspricht wird klar, diesen Menschen kann nur eine faire Lösung durch die Reformen des Bürgergelds und die Auflösung der Verdienstobergrenze helfen. Denn wie sich zeigt, werden die Menschen in diesem nervenaufreibenden Stück nicht mehr wie Menschen mit Würde, Rechten und Pflichten behandelt, sondern wie die Tiere die in dieser Wurstfabrik indirekt selbst zu Lebensmittel verarbeitet wurden.
Fazit: Das Blutbad der Demokratie
Als die jüngste der Putzkräfte schließlich nach pausenlosem Mobbing durch den egomanischen Vorgesetzten am blut- und fleischdurchtränkten Fließband zusammenbricht, scheinen alle am Ende mit ihren Kräften. Den ehrgeizigen Vorgesetzten, der sich selbst als Spiritualist bezeichnet tangiert diese essenzielle Nachtschicht, die 50 Euro auf die Hand bedeuten und diese menschliche Tragik in all ihren Facetten und Tiefpunkten zeigt, nur noch sekundär. Am Ende von Get Closer // Beyond Caring wird deutlich, wie dringend und notwendig der politische Handlungsbedarf seitens der Ampel im Bezug auf die essenziellen Bedürfnisse unserer Demokratie geworden ist.
Die Darstellung von menschlicher Degradierung, beruflicher Versklavung durch unterbezahlte Minijobs oder die Verdienstobergrenze bei Hartz IV und nicht zuletzt auch die politisch motivierte Diskrimierung und das soziale Mobbing ist mit dem Blutbad der einfachen Putzkräfte und ihrer fortschreitenden chronischen Erschöpfung auf die Spitze getrieben worden. Eine signifikante Wahrheit, die einige Zuschauer*innen aus ihrer Blase des neutralen Selbstinteresses aufgeweckt haben sollte. Mir jedenfalls ist bereits zu Beginn von Get Closer // Beyond Caring das Lachen im Halse stecken geblieben. Ein Stück voller Schattenseiten des Deutschen Wohlstands, dass in seiner Brisanz und Reduktion auf das Wesentliche wohl kaum wie ein anderes die aktuelle Lage vieler Bürger*innen widerspiegelt.
#Dialogue
One response to “Schaubühne: Get Closer // Beyond Caring”
[…] nächsten Mittwoch und Donnerstag die Schaubühne wieder »Beyond Caring«, die erste Zusammenarbeit des britischen Dramatikers Alexander Zeldin mit dem Ensemble der […]