Aufgrund meines Semesterprojekts bin ich in die Welt und die Stimmung meines zu kommunizierenden Themas „transzendentales Träumen“ eingetaucht. Dabei begebe ich mich in die Methodik des „Method Acting“, entwickelt von Lee Strasberg, einem Theaterregisseur des 20. Jahrhunderts. Doch was genau ist das?
Die Geschichte des Method Actings
Method Acting, wie es von Lee Strasberg definiert wurde, ist eine Art Training für SchauspielerInnen, sich immersiv in eine Rolle zu begeben. Dies ermöglicht es den Darsteller:innen, emotionale und authentische Performances zu liefern, die so wirken, als würden sie das Gespielte tatsächlich erleben.
Die ikonische amerikanische Schauspielerin Laurette Taylor beschrieb das Method Acting folgendermaßen:
„Es ist, als würdest du ein kleines Kind sehen, das in einer Schlammgrube sitzt. Es zieht dich in den Bann – warum? Weil das Kind seine kreative Imagination auslebt. Es erlebt die schokoladenfarbenen Pies seiner Mutter in der Küche.“
Laurette Taylo
Es geht darum, das Erlebte zu fühlen. Schon früher in der Geschichte beschrieb der römische Rhetoriker Quintilian:
„Das Geheimnis, Massen zu bewegen, ist, selbst bewegt von unseren Erfahrungen und Visionen des Lebens zu sein. Das Abwesende ist dabei so präsent vor unserem geistigen Auge, dass wir es quasi wiedererleben.“
Marcus Fabius Quintilianus
Vom Bauchgefühl zur Regel
Laurette und Quintilian haben beide intuitiv das artikuliert, was der Kern des Method Acting ist: die eigene Lebenserfahrung als Samen für weiteres Schaffen zu nutzen. Viele Schauspieler:innen und Künstler:innen tun dies bereits intuitiv. Vor Strasberg war es eine rein intuitive Methodik. In der Schauspielerei fehlte jedoch im Gegensatz zu anderen Künsten eine systematische Methodik.
Lee Strasberg war stets von den Inspirationsquellen junger Schauspieler:innen fasziniert. Als das Moskauer Kunsttheater 1923 in New York unter der Leitung von Konstantin Stanislavski eine Vorführung präsentierte, war Lee von dem emotional mitreißenden, authentischen Stück begeistert.
Es war menschlich, als würden die Schauspieler:innen ihre Gedanken und Emotionen zum ersten Mal auf der Bühne spüren. Zwei Schauspieler:innen, Richard Boleslavsky und Maria Ouspenskaya, brachten erstmals die Pioniermethodik, die unter Stanislavski „The System“ genannt wurde, in die USA. Lee gründete daraufhin mit zwei weiteren Freunden ein Gruppentheater, in dem er die Methoden des Moskauer Theaters an die amerikanische Kultur anpasste und lehrte. Er selbst begann, intensiv zu erforschen, wie man das Problem der Authentizität im Schauspiel lösen kann.
Implementierung seiner Methoden in der Praxis
Dann ging es darum, das Gelernte in die Tat umzusetzen. Bei Proben und Übungen waren sensorische Trainings, die die Imagination und Emotionalität schulten, essenziell. Beruhigungsübungen zur Befreiung von mentaler und physischer Anspannung, Skriptanalysen, um die Motivation des zu spielenden Charakters zu verstehen, sowie Improvisationen, um natürliches Verhalten zu katalysieren, waren Teil des Method Actings nach Lee.
Im Zentrum seiner Arbeit stand das Wiederaufleben der „affective memory“. Dabei müssen Darsteller:innen einzigartige Lebenssituationen in ihrem Geist rekapitulieren, um explosive Emotionen hervorzubringen. Es ging nicht darum, Emotionen zu spielen – sie sollten wiedererlebt werden.
Übertragung auf andere Künste
Method Acting ist eine intensive Möglichkeit, das Thema deiner Kunst während des Prozesses zu vertiefen, um Emotionalität und Dramatik zu vermitteln. Natürlich hängt es immer von der Person ab, wie sie ihre Kunst kommuniziert. Ich liebe Drama, Tiefe und eine immersive Geschichte. So gehe ich auch bei meinem Semesterprojekt vor. Es geht um das Thema „Weißt du noch“ – es kann wirklich alles sein. Für mich ist die Inspiration ein Gespräch mit einer älteren Dame in einem Park vergangenen Frühsommer in Schöneberg.
Leben, Scheitern und weiterleben
Der Beginn des Gesprächs war ganz belanglos. Ich fragte sie nach einem Taschentuch und so kamen wir ins Gespräch. Ich erzählte von meinem bisherigen Werdegang und meinen Wünschen für die Zukunft, da ich damals neu nach Berlin gezogen war. Sie ermutigte mich daraufhin, so viel wie möglich auszuprobieren und dabei zu leben, scheitern und weiterzuleben.
Dabei erzählte sie nostalgisch, fast schon melancholisch von ihrer Vergangenheit. Während sie von ihrer Vergangenheit erzählte, begab ich mich in Gedanken in die Zukunft. Ich antizipierte mir Großes und war bestärkt in meinen Plänen. Was geschah in dem Moment?
Eine Transzendenz der Zeiten. Wir beide waren auf metaphysischer Ebene in der Präsenz, geistig jedoch in der Vergangenheit beziehungsweise in der Zukunft. Vergangenheit und Zukunft verschmelzen zu einem Ganzen. Die Verschiebung von Realitäten und die transzendentalen Eigenschaften der Zeit sind die ausschlaggebenden Themen, die ich in meinem Semesterprojekt aufgreifen möchte.
Umsetzung im eigenen künstlerischen Prozess
Und dafür wende ich das Method Acting an. Führe ich mir die Situation geistig vor meinem Auge, höre melancholische Musik, die von psychedelischen Melodien begleitet wird. Ich widme meine Aufmerksamkeit der Natur, die mir hilft, in einen melancholischen Flow zu kommen, und denke viel nach. Ich begab mich sogar zurück in den Park, saß auf derselben Bank, nahm meine Kopfhörer heraus und versuchte, das zu spüren, was damals kam.
Method Acting kann ein unglaublicher Katalysator für vergangene Emotionen sein, besonders für Künstler:innen, die verschiedene sensorische Elemente in ihren Arbeiten verwenden. Auch Gerüche können uns in die Vergangenheit transportieren und bestimmte Emotionen hervorrufen.
Andere Künste, die das Ethos des Method Actings adaptieren
Der Designer John Galliano ist bekannt für seine theatralischen, emotionalen Shows und Kollektionen, die die Konsument:innen in eine andere Welt entführen. Inspiriert von Epochen wie der Renaissance, dem Viktorianischen Zeitalter und Künstlern des französischen Empire des 19. Jahrhunderts, wie Jacques-Louis David, tränkt er seine Kleidung buchstäblich in historischen Referenzen.
Ein Kleid seiner “Fallen Angels” aus der Frühling/Sommer Kollektion von 1986 wurde beispielsweise komplett durchnässt, um ein Drapieren wie an einer klassischen Statue zu erreichen. Galliano gibt seinen Models vorher die Story hinter seinen Kollektionen wieder und ordnet ihnen bestimmte Charaktere zu, sodass die Models die Essenz wahrhaft verkörpern und die mise-en-scène authentisch umsetzen können.
Method Acting kann der Kunst eine Dynamik und Theatralik verleihen, die aus vorherigen Erfahrungen und Wahrnehmungen schwer zu greifen war. Sie regt zum träumen an, lädt jedoch auch dazu ein, sich tiefer mit den Gefühlen auf der Bühne oder dem Laufsteg zu beschäftigen. Ist das Leben nicht immer auch ein bisschen Method Acting?
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