Oh Berlin: Woanders Ist’s Auch Kacke

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An Meine Hassliebe, wenn ich zurückdenke wollte ich immer zu dir, pulsierende Hauptstadt, voller Kultur, Geschichte und Kunst. „Wenn ich in Berlin wohn, kann ich jeden Tag was Neues entdecken“. So zumindest war’s der Plan. Doch wie immer kommt alles anders, als gedacht. Du bist groß, Du bist voll. Du bist atemberaubend. Wo will ich zuerst hin? Was sehen, was entdecken? 

Der Kiez und das Nachtleben

Ich glaube kaum eine andere Stadt hat ein so vielfältiges Nachtleben wie du. Egal, auf welche Musik ich grad Lust hab, irgendeine Bar oder ein Club wird es spielen und zwar egal, an welchem Wochentag. Und wäre das noch nicht genug, gibst du ständig Straßenfeste oder -Umzüge, Hauptsache, es wird wild, bunt und laut. Denn, sind wir mal ehrlich, du findest immer einen Grund zu feiern—du kleine Partymaus. 

Ich liebe es, durch deine Straßen zu schlendern, deine Kieze zu entdecken und zu durchstöbern. Denn an jeder Ecke gibt es etwas Neues, etwas anderes. Dunkle, staubige Plattenläden, aus denen irgendein altes Hard Rock Album tönt, gefolgt von Läden, voller bunter Stoffe, kleinem Krimskrams und einem Hauch Patchouli. Dazwischen ne Currywurst Bude oder ein Döner. Du liebst Shopping und ein Leckermaul bist du noch dazu.

Vielfalt und To-Do’s

Wenn mich dann doch mal die Lust auf Kultur packt, gibst du mir die Möglichkeit, mich Wochen lang damit auseinander zu setzen. Denn neben deinen mehr als 175 Museen bietest du mir noch über 100 verschiedene Theater und Opernhäuser. Du bist also doch mehr, als nur eine kleine, verfressene Partymaus. Trotzdem hab ich In den fünf Jahren, die ich dich nun bewohne, vielleicht ein fünftel meiner to-do Liste geschafft. Das liegt nicht daran, dass diese Liste so unglaublich lang ist. Nein, es liegt an Dir, Berlin. Du bist laut, dreckig und ermüdend. Du machst mich fertig. 

Deine Vielfalt und Offenheit gegenüber allem und jedem ist bewundernswert und ich liebe dich dafür. Da sitzt auf der einen Seite der Parkbank die typische Omi mit ihrem Hund, die die Tauben füttert. Auf der anderen Seite zwei junge Leute die aussehen, als wären sie aus einem Club der 90er Jahre gefallen. Vorbei geht ein Punk, bunte Haare, voller Piercings und die Kutte voller Antifa-Patches. Und das beste daran: Keiner stört sich am Anderen, jeder kann sein, wie er/sie/es will. Du bist voller Vielfalt, voller Individualität.

Zwischen Fomo und Selfies

Du bist überwältigend und dein Angebot so groß, dass ich mich nicht entscheiden kann, wo ich anfangen will, immer mit der Angst, andern Orts etwas zu verpassen oder, dass mir etwas entgeht. Die gute neue FOMO und du schürst sie nur, diese Angst. Du kleines Monster. Am Ende landet man doch immer wieder im gleichen Bezirk, den gleichen Cafes und den gleichen Läden, denn ganz ehrlich, du bist anstrengend. Dich zu entdecken kostet sehr viel Kraft. Ständig sitzt man in der Bahn oder im Bus, wenn denn mal was fährt und dann fährt und fährt man erstmal. Denn deine Größe ist erschlagend.

Wenn man doch endlich mal in deinem neuesten, ach so hippen Bezirk angekommen ist, sollte man sich drauf gefasst machen, irgendwo im Hintergrund von ach so tollen Selfies, deiner ach sooo tollen Influencer zu landen, um anschließend für den allerneuesten Food Trend zwanzig Minuten in irgendeiner Schlange zu stehen. Nur, um dann zu merken, dass es mal wieder ein einziger Hype um Nichts war. Berlin, du verkaufst dich gerne, du genießt die Aufmerksamkeit, hab ich recht? Du kleine Selfie Queen

Nicht nur schöne Seiten

Ich freue mich wirklich für dich, dass du so viele Besucher hast, die nur kommen, um dich zu sehen. Echt, wirklich toll. Aber du musst auch zu geben, die Besucher verändern dich. An jeder Ecke eröffnest du eine neue Mall, nur um dort die gleichen Läden einziehen zu lassen, die schon in den anderen unzähligen Malls zu finden sind. Auf Wiedersehen, Individualität und Vielfalt. Es ist befriedigend, dass man einfach so wie man ist, durch deine Straßen ziehen kann und es interessiert keinen.

Doch wenn wir ehrlich sind, ist genau das auch eines deiner Probleme. Niemand interessiert sich für die Person neben sich. Man ist komplett unsichtbar, anonym. Da steigt ein Obdachloser ein, der um Hilfe bittet, und keiner hebt den Kopf von seinem Handy um zu helfen. Ein kleines Kind wirft seinen Schuh aus dem Kinderwagen und Mama merkt’s nicht. Doch anstatt, dass man ihr behilflich wäre, steigen alle nur über den Schuh hinweg. Das Mädchen in der S-Bahn schaut weinend aus dem Fenster, doch keiner bietet ihr ein Taschentuch an. Du erkennst langsam, was ich dir sagen will, oder? Berlin, dir mangelt es an Mitgefühl, an Empathie. Ich kann es ja verstehen, du hast zu viele Probleme an zu vielen Ecken. Da entwickelt man irgendwann eine gewisse Kälte. 

Characterstark

Das ist vielleicht genau der Punkt, den ich an dir am meisten Hass—Liebe. Berlin, du hast mich verändert. Ich bin an dir gewachsen, hast mir Selbstbewusstsein gegeben, hast mir gezeigt, wer ich bin und wer ich sein möchte. Aber du hast auch mich kalt gemacht, mich abstumpfen lassen und aus mir ein Arschloch gemacht, zumindest in bestimmten Situationen. Denn auch du bist eins und verschlingst Menschen, spuckst sie verändert wieder aus. Nur mit mehr Narben, aber auch mehr Erfahrungen als vorher.

Dein Charakter ist genau wie deine Einwohner, vielfältig.  Du hast tausende verschiedene Facetten, für die man Zeit braucht, um sie alle zu entdecken und um dir die Chance zu geben, sie zu zeigen. Du bist diese eine verrückte Freundin, die man liebt. Die einem aber auch nach einiger Zeit manchmal ganz gehörig auf die Nerven geht. Und das tust du manchmal, versuch bitte nicht es abzustreiten. Wenn das passiert, setz ich mich einfach in den Zug und fahr weg. Denn manchmal merkt man erst mit ein wenig Abstand, wie sehr man jemanden liebt.

Gehass(lieb)tes Berlin, du bist meine beste Freundin und meine ärgste Feindin. Doch am Ende bist du vor allem eines — meine große Liebe, mein Zuhause, und dafür möchte ich dir danken. Du hast mir so viel geschenkt und gegeben, ich habe dir viel zu verdanken. Egal was auch passiert, ich werde dich nie vergessen und immer wieder zu dir zurückkehren. 

In tiefster Hassliebe aus dem Zug, 
Deine Anna

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