2015 bezogen die meisten Kulturbetriebe Position: Sie veranstalteten Solidaritätsabende, plakatierten »Refugees Welcome« und proklamierten Internationalität und Menschenwürde. Für Rechte und Rechtsradikale stellten sie sich damit, ebenso wie Medien und die hilfsbereite Mehrheit der Gesellschaft, an die Seite des Regierungshandelns.
Kurz: Wir, das links-grün-versiffte Gutmenschentheater seien das kulturelle Beiprogramm zum von Merkel vorangetriebenen Bevölkerungsaustausch. Statt Verkündung deutschnationaler Dichterfolklore also kosmopolitisch-propagandistische Indoktrination der Bevölkerung.
Seitdem hat sich die auch damals schon repressive europäische und auch deutsche Politik gegenüber Geflüchteten massiv verschlechtert. Während weiterhin viele bewundernswerte Vereine und Akteure der Zivilgesellschaft wichtige Arbeit leisten, wurden im Politikbetrieb rassistische Stereotype wieder salonfähiger, wurden Abschreckung und Abschottung immer zentraler.
Tiefpunkt der Asylpolitik ist sicher das in der letzten Woche absehbar gewordene EU-Reformpaket, wofür sich auch deutsche Politiker:innen medial abfeiern lassen: Erweiterte Abschiebemöglichkeiten, Quasi-Gefängnisse an den Außengrenzen, obskure Drittstaatenregelungen. Wo bleibt unser Aufschrei? Wenn die Menschenrechts- und Selbstbeweihräuchernden von einst nun schweigen, stellen sie sich dann nicht stillschweigend genau hinter diese Politik? Ist dieses Einverständnis nicht ganz im Sinne der Regierung? Und haben dann die Rechten in diesem Sinn nicht doch »recht« gehabt?
Aufstand und Kritik
Asylzentren, Maschendraht und Gewalt werden die europäischen Außengrenzen in Zukunft noch weiter kennzeichnen. Beispielsweise diejenige zwischen Griechenland und der Türkei. Auf spielerische, humorvolle und künstlerische Weise überwindet THE REPUBLIC OF BAKLAVA des griechischen Theatermachers Anestis Azas genau diese.
Ein türkisch-griechisches Paar begibt sich auf eine absurd-komische Reise in die Richtung einer zukünftigen, globalen digitalen Nation und eine spezielle europäische Zukunft. Die für das Epidauros Festival Athen 2021 entstandene Inszenierung ist bei uns auf der großen Bühne am Freitag, den 16/Juni, um 20:30 Uhr zu Gast.
Den »Aufstand« im Wortsinne probt der namenlose kurdische Künstler in Mely Kiyaks gleichnamigem Stück. Die Inszenierung von András Dömötör ist morgen, am 14/Juni, gleich zweimal bei uns im Studio Я zu sehen: Um 17:00 und um 20:30 Uhr. Nach der ersten Vorstellung spricht Mely Kiyak, die in »Aufruhr« ihre Erfahrungen und ihre Perspektive als Augenzeugin der Proteste in der Türkei verhandelt, mit dem Maxim Gorki Theater und Ihnen.
AUFSTAND
MONOLOG EINES WÜTENDEN KÜNSTLERS
Von Mely Kiyak | Regie András Dömötör | Mit Mehmet Yılmaz
Ein kurdischer Künstler reflektiert sein Leben in der Türkei aus dem fernen Berlin. Er beobachtet die Protestbewegungen der jüngeren Vergangenheit und die staatlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und künstlerischen Reaktionen darauf. Eines Tages steht der Künstler auf und probt den Aufstand; gegen die Nachbar*innen, die Künstlerkolleg*innen, den Galeristen. Er beklagt Türkische-Fahnen-Hochhalter*innen, die Istanbuler*innen, den Lauf der Dinge, und wagt zu fragen, ob es wirklich sinnvoll war, dass in jedem kurdischen Dorf Strom gelegt wurde.
14/Juni 17:00 Uhr, Studio Я, anschl. Q&A mit Mely Kiyak
14/Juni 20:30 Uhr, Studio Я
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AUF DER BÜHNE:
Gastspiel: THE REPUBLIC OF BAKLAVA
Text Anestis Azas, Gerasimos Bekas, Michalis Pitidis | Idee & Regie Anestis Azas | Mit Katerina Mavrogeorgi, Cem Yigit Üzümoğlu, George Katsis, Gary Salomon
The Republic of Baklava erzählt von einem binationalen Paar, einem griechischen Mann und einer türkischen Frau, die beschließen, einen eigenen Nationalstaat zu gründen und ihr Haus und ihr privates Geschäft als Hauptquartier zu nutzen. In einer Reihe von absurden und komischen Situationen werden die Figuren mit den Widersprüchen der zeitgenössischen griechischen Gesellschaft seit der Revolution, der Problematik der nationalen Identität und der utopischen Realität einer zukünftigen, globalen digitalen Nation konfrontiert und nehmen uns mit auf diese Reise in eine spezielle europäische Zukunft.
16/Juni 20:30 Uhr, Bühne
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ANTIGONE
Nach Sophokles | Von Leonie Böhm & Ensemble | Regie Leonie Böhm
»Wir stehen auf des Messers Schneide.« Leonie Böhms Aneignung der antiken Tragödie beginnt, als noch nicht alles verloren ist. In einem leidenschaftlichen Balanceakt wischen die Akteurinnen im Hier und Jetzt die Staubschicht von den alten Worten und ringen mit ihnen um Handlungsfähigkeit. Wie ist ein für nachhaltige Veränderung notwendiger Bewusstseinswandel möglich? Wie können wir loslassen, was uns im Weg steht, uns neu zu erfinden, neu zu verbünden? »Und hier, auf einmal hebt ein Wirbelsturm Staub vom Boden in die Höhe, und füllt die Ebene, zerfetzt das ganze Laub des Waldes, die Luft ist voll davon!«
18/Juni & 1/Juli 19:30 Uhr, Bühne
Zum Stück
GEZİ – TEN YEARS AFTER
RESISTING RADIO
Curated by Zehra Doğan
Inspiriert von der Erfahrung der Kurzwellenradioübertragung im Gezi-Park während des Aufstands 2013, reflektiert RESISTING RADIO über das Potenzial des Radios als alternatives Kommunikationsmedium – insbesondere unter außergewöhnlichen Bedingungen wie Stromausfällen oder staatlichen Beschränkungen von sozialen Online-Medien. Die vergangenen Livesendungen zu den Themen kurdischer Widerstand und Ökologie sind online abrufbar.
Nächster Livestream:
18/Juni 15:00 Uhr
Mehr dazu
THE QUEER WEEKEND
Curated by Anthony Hüseyin & Yunus Ersoy with Yeşim Duman & Zehra Doğan
Während des jährlichen Pride Month betrachtet #DİRENAYOL den Gezi-Aufstand durch die queere Brille und beschäftigt sich zum Ende des laufenden Festivals GEZİ – TEN YEARS AFTER mit dem Einfluss, den die queere Community auf die Proteste hatte, sowie mit der breiten Unterstützung, die diese erfuhr.
Im Programm: Performance, Filme, Talks, Lecture, Stand-Up, Karaoke, Queer Chess & Tavla und Gullüm Night.
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