Daniel Boyd: RAINBOW SERPENT (VERSION)

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Ein Bogenschütze auf blauem Hintergrund und mit den Boydschen Punkten bzw. Stickertechnik überzogen.

Der Gropius Bau präsentiert mit RAINBOW SERPENT (VERSION) die bisher umfassendste Ausstellung von Daniel Boyds Arbeiten in Europa. Der international renommierte Künstler lebt und arbeitet auf Gadigal und Wangal Country, Sydney. Seit zwei Jahrzehnten leistet Boyd einen entscheidenden Beitrag, sich der überlieferten eurozentrischen Geschichte Australiens entgegenzusetzen und aufzuzeigen, wie sich Ikonografien durch Raum und Zeit forttragen.

In enger Zusammenarbeit mit dem Künstler konzipiert, präsentiert die Ausstellung 44 Gemälde und zwei neue großformatige Installationen, die in Dialog mit der historischen Architektur des Gropius Bau treten. RAINBOW SERPENT (VERSION) erstreckt sich über das erste Obergeschoss und den Lichthof des Gropius Bau und betont nicht-lineare Verbindungen zwischen den ausgestellten Arbeiten und Vorstellungen von Zeit und Raum.

Das Erbe der Kolonialen Herrschaft

Daniel Boyds Arbeiten zeichnen sich durch eine einzigartige visuelle Technik aus, die sich auf Historienmalerei bezieht und gleichzeitig das Erbe der Kolonialisierung und des damit verwobenen kulturellen und wirtschaftlichen Imperialismus hinterfragt. Sie schöpfen aus Quellen wie Indigenen Wissensproduktionen, der Gestalttheorie, den Schriften des Dichters und Philosophen Édouard Glissant und der Geschichte Boyds eigener Vorfahren.

In RAINBOW SERPENT (VERSION) nimmt Daniel Boyd die Neorenaissance-Architektur des Gropius Bau zum Ausgangspunkt für eine neue Serie von Gemälden. Er greift dabei auf die Ikonografie des europäischen Klassizismus und Neoklassizismus zurück – und setzt diese in Verbindung mit der Missrepräsentation von Menschen, die kolonialer und imperialer Gewalt und Expansion ausgesetzt wurden.

Ein weißer Mann in den traditionellen Gewändern von Nordafrikanischen Kulturen. Wie allen Werken Boyds, ist auch bei diesem Bild die Sicht durch die Stickertechnik überlagert worden.
Daniel Boyd, Untitled (RMUFWM), 2022
Gemälde, Öl, Acryl, Kohle, Pastell und Archivkleber auf Leinen, 236 x 146 cm
© der Künstler und Galerie Roslyn Oxley9, Sydney, Foto: David Suyasa

Verwobene Geschichte

Das von der ehemaligen Direktorin Stephanie Rosenthal initiierte Programm des Gropius Bau setzte sich zwischen 2018 und 2022 unter anderem mit Themen wie verkörperter Geschichte, Traditionen künstlerischer Produktion und Beziehungen zwischen Land, Landrechten und Indigenität auseinander. Die Ausstellung RAINBOW SERPENT (VERSION) vertieft diese Schwerpunkte, indem sie zeigt, wie koloniales Erbe und Strategien zur kulturellen Verdrängung durch zeitgenössische Kunst in Frage gestellt werden können.

Ein African Native in traditioneller Kleidung, darunter ein seitlich gewickelter Turban und ein Stab in der rechten Hand. Bild in Schwarz-weiß und ebenfalls mit der Acrylstickertechnik versehen.
Daniel Boyd, Untitled (CPC), 2015
Öl, Acryl, Holzkohle und Archivkleber auf Polyester, 137,5 x 183 cm
© der Künstler und Galerie Roslyn Oxley9, Sydney, Foto: Ivan Buljan

Präsentiert werden auch neue Arbeiten, die Boyds einzigartige Form der visuellen Kritik offenbaren und die sich direkt mit der Geschichte europäischer Kulturinstitutionen – auch der des Gropius Bau – auseinandersetzen. Der Gropius Bau liegt auf historischem Grenzgebiet; um ihn herum entfalteten sich im 19. und 20. Jahrhundert Gewaltregime wie der europäische Kolonialismus sowie die nationalsozialistische Terrorherrschaft. Während des Kalten Krieges markierte die direkt vor dem heutigen Haupteingang des Gebäudes verlaufende Mauer die Teilung Deutschlands und der Welt in Ost und West. Boyds Schaffen zeigt, wie Geschichten miteinander verwoben sind und zeichnet ihre Wege quer durch verschiedene Kontexte nach.

Die first Nations in der Kritik

Der Titel von Daniel Boyds Ausstellung im Gropius Bau bezieht sich auf den Begriff „Rainbow Serpent“, der von Menschen, die nicht den First Nations angehören, häufig fälschlicherweise für eine Reihe von Schöpfungsgeschichten verschiedener First Nations-Gemeinschaften in Australien verwendet wird, ohne die Besonderheiten der jeweiligen Kosmologien zu berücksichtigen. Dabei sind die Mythen der First Nations so vielfältig wie ihre Gemeinschaften selbst. Boyd greift den Begriff mit dem Zusatz „(VERSION)“ im Titel seiner Ausstellung auf, um auf die Vielfalt der unterschiedlichen Kosmologien und Kulturen der First Nations hinzuweisen.

Portrait einer antik anmutenden männlichen Gestalt in Pink und rot, sowie der Stickertechnik.
Daniel Boyd, Untitled (FOVWMYLTTL), 2022
Öl, Acryl, Holzkohle, Pastell und Archivkleber auf Leinen, 91 x 71 cm
© der Künstler und Galerie Roslyn Oxley9, Sydney, Foto: David Suyasa

Daniel Boyds Arbeiten hinterfragen eurozentrische Perspektiven und Narrative. Sie machen die miteinander verwobenen kolonialen Methoden naturwissenschaftlicher Forschung und kultureller Unterdrückung sichtbar. Boyd kontrastiert diese mit den Beziehungen der First Nations zu Natur, Umwelt und Praktiken der Fürsorge und Verantwortung. Mit einer kritischen Perspektive auf die westlich geprägte Kunst- und Bildgeschichte widersetzen sich seine Gemälde den Schemata der klassischen Antike, der anthropologischen Ikonografie sowie ihrer Auswirkungen auf jüngere visuelle Kultur. Sowohl durch die Wahl seiner Motive als auch durch seine Maltechnik führt Boyd divergierende Narrative ein und schafft eine Ästhetik, die auf Opazität beruht.

Widerstand und Aktivismus

Boyds Interesse an der materiellen Transformation von Bildern zeigt sich in Arbeiten, in denen er Fotografien von Missionar:Innen und Anthropolog:Innen, Bilder aus dem Kanon der westlichen Kunstgeschichte und historische Gemälde von Personen aufgreift, die an der Kolonialisierung und Missionierung Australiens beteiligt waren. In dem Gemälde Sir No Beard (2009) porträtiert er Joseph Banks, der die Reise James Cooks mit der HMS Endeavour (1768–1771) von London nach Ozeanien und Australien finanzierte und begleitete.

Als Freund Georges III., König von Großbritannien und Irland, nutzte Banks sein Wissen über die Pflanzenwelt, um das britische Imperium zu festigen und auszubauen. Unter anderem ließ er in Indien Tee anpflanzen und Brotfrüchte von Tahiti nach Jamaika bringen, um sie als günstiges Nahrungsmittel für die versklavte Bevölkerung zu nutzen. Boyds Version des Gemäldes verweist zudem auf den 1802 von der britischen Kolonialmacht hingerichteten Widerstandskämpfer Pemulwuy, einen Anführer der Bidjigal, der enthauptet und dessen Kopf an Banks in London geschickt wurde. Aktivist:Innen der First Nations setzen sich für die Auffindung und Rückgabe an Australien ein.

Eine Moorlandschaft in schwarz-weiß gehalten und mit den Boyds typischen Stickern versehen.
Daniel Boyd, Untitled (MLBATS), 2021
Gemälde, Öl, Holzkohle und Leim auf Leinwand, 193 x 299 cm
© der Künstler und Kukje Gallery, Foto: Chunho An, Foto zur Verfügung gestellt von Kukje Gallery

Linsen und Sticker

Seit den frühen 2010er Jahren hat Boyd eine spezifische Maltechnik entwickelt, bei der Punkte aus Archivkleber die Leinwand bedecken, die er selbst als „Linsen“ bezeichnet. Zwischen den Punkten ist schwarze Farbe aufgebracht, die im Wechselspiel mit den Linsen die Bildoberflächen in Bewegung bringt. Diese Technik unterstreicht das Recht auf eine Darstellung, die sich auf Opazität statt auf die westlich geprägte Idealvorstellung von Transparenz beruft.

Boyd interessiert sich für Opazität als Mittel des Indigenen Widerstands gegen das Erbe des europäischen Aufklärungsgedankens und dessen Beharren auf Erleuchtung, Transparenz und Offenlegung. Zwei eigens für RAINBOW SERPENT (VERSION) im Gropius Bau konzipierte Installationen bedecken die Fenster des ersten Obergeschosses und den Boden des Lichthofs. Die mit Spiegeln bedeckte Bodenfläche reflektiert die bestehende Architektur in einem fragmentierten, sich stetig wandelnden Bild.

Das Bestreben nach Gleichheit

In den im Gropius Bau ausgestellten Gemälden arbeitet Boyd mit Öl, Kohle und Archivkleber auf der Grundlage verschiedener visueller Quellen, darunter auch Bilder, die mit der Geschichte seiner eigenen Familie und ihrer Gewalterfahrungen verbunden sind. Einige seiner Familienmitglieder gehören zu den sogenannten „Gestohlenen Generationen“ – First Nations-Kinder, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den 1970er Jahren gegen ihren Willen von ihren Familien getrennt wurden. Im Rahmen einer kolonialen Politik, die darauf abzielte, kulturelle Traditionen und Identitäten zu unterdrücken, wuchsen sie ohne Zugang zu ihrer Kultur auf.

Das Bildnis einer jungen BiPoC Frau vor dem Spiegel. Sie ist dabei sich einen Blumenkranz in ihrem Haar zurecht zu rücken. Das Gemälde ist in Sepia, sowie Rot- und Grüntönen gestaltet und mit den Boydschen Stickern versehen.
Daniel Boyd, Untitled (TDHFTC), 2021
Gemälde, Öl, Acryl, Holzkohle und Archivkleber auf Leinwand, 130 x 189 cm
© Privatsammlung (Jean Sook Chae), Foto: Chunho An, Foto zur Verfügung gestellt von der Kukje Gallery

Boyd hinterfragt den kolonialen Blick, indem er Fotografien als Quellenmaterial verwendet, die in kolonialen Kontexten aufgenommen wurden. Darunter befinden sich auch Bilder von einer Reise der London Missionary Society und der anglikanischen Kirche zur Pfingstinsel in Vanuatu, wo Boyds Ururgroßvater lebte, bevor er gewaltsam nach Queensland gebracht wurde. Australiens wirtschaftliches Kapital basiert auf der unbezahlten Zwangsarbeit der ausgebeuteten und unterdrückten First Nations und pazifischen Inselvölker. Die daraus resultierenden Ungleichheiten bestehen bis heute.

Boyds Leitmotiv

Ein wichtiger Bezugspunkt in Daniel Boyds Ausstellung ist das Werk des Dichters und Philosophen Édouard Glissant. Glissant entwickelte das Konzept des „Rechts auf Opazität“, das sich der westlichen Erkenntnistheorie der Transparenz widersetzt, die Unterschiede einebnet und auslöscht. Stattdessen plädierte Glissant für Opazität als „nicht reduzierbare Singularität“. Boyds visuelle Technik der multiplen Linsen stellt Resonanzen zwischen seinem eigenen und Glissants Denken her.

Andere Arbeiten der Ausstellung beziehen sich auf das National Black Theatre auf Gadigal und Wangal Country, Sydney, die Philosophin und Aktivistin Angela Davis oder Neokolonialismen wie die Geschichte von Marlon Brandos Frau Tarita Teri‘ipaia sowie auf Verbindungen zwischen den Landrechtsbewegungen in Australien und den US-amerikanischen Bürger:Innenbewegungen für die Rechte von Schwarzen und Indigenen.

Ein historisch inspiriertes Portrait einer jungen Frau aus der PoC Community mit den Boydschen Stickern und nach einer alten schwarz-weiß Aufnahme getaltet.
Daniel Boyd, Untitled (FJB), 2019
Gemälde, Archivkleber und Siebdruck auf Polyester, 41 x 31 cm
© der Künstler und STATION, Melbourne

Über Daniel Boyd

Daniel Boyd wurde 1982 in Gimuy/Cairns geboren. Er gehört zu den Kudjala, Ghungalu, Wangerriburra, Wakka Wakka, Gubbi Gubbi, Kuku Yalanji, Budjalung und Yuggera und hat ni-Vanuatu Vorfahr:Innen. Die Ausstellung RAINBOW SERPENT (VERSION) kann über mehrere Eingänge im ersten Obergeschoss des Gropius Bau betreten werden. Die nicht-lineare Konzeption der Ausstellung spiegelt Boyds Widerstand gegen feste Kategorisierungen wider, wie sie koloniale Gewalt und kulturelle Homogenisierung kennzeichnen. ­

Eine Vielfalt von Stimmen im Programm zur Ausstellung

Integraler Bestandteil der Ausstellung ist eine Reihe von Veranstaltungen und Aktivierungen, die auf der Bodeninstallation im Lichthof stattfinden und, wie ein Theater, eine Vielzahl von Stimmen zusammenbringen. Am 29. April 2023 findet von 18:00 bis 24:00 Uhr die von Asad Raza konzipierte Veranstaltung Mangrove Sunset im Lichthof des Gropius Bau statt.

Mangrove Sunset ist eine sechsstündige Komposition aus Klang, Sprache und schwindendem Licht, inspiriert von dem Dichter und Philosophen Édouard Glissant. Während das elektrische Licht des Gropius Bau den gesamten Abend über ausgeschaltet bleibt, werden Aufnahmen von Musik und gesprochenem Wort sowie Live-Beiträge von Mitwirkenden, darunter Mitglieder des Jungen Gropius Bau (JuGroBa), nebeneinandertreten. Im Zusammenspiel mit dem langsam schwindenden Licht der untergehenden Sonne entsteht eine Erfahrung, die die Gegenwart mit Echos der Vergangenheit und Vorahnungen verschwimmen lässt.

Ausstellung

Daniel Boyd: RAINBOW SERPENT (VERSION)
23.3. Eröffnungstag
24. März bis 9. Juli 2023

Kuratiert von Stephanie Rosenthal und Carolin Köchling, Entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Institute of Modern Art, Brisbane

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2 responses to “Daniel Boyd: RAINBOW SERPENT (VERSION)”

  1. […] von den Folgen kolonialer Vergangenheit und Gegenwart handeln, wird in Daniel Boyds Ausstellung Rainbow Serpent (Rainbow Version) der Narrativ der Besucher:innen hinterfragt und ihre Blindspots oder tradierte […]

  2. […] Binghao und Kathryn Yusoff, die mit den etablierten Narrativen um Sandra Mujingas Werk brechen und neue Perspektiven zu den Themen postkolonialer Theorie, Animal Studies, Gender- und queeren Perspektiven bieten. Der Preis der Nationalgalerie wird seit […]

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