Header Image: Die "Wax Follies", eine Drag-Gruppe aus Penang, 1982 (aus der Sammlung gefundener Fotos von Hoo Fan Chon)
Archive sind mehr als nur Aufbewahrungsspeicher. Sie werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Mit ihren Inhalten wird gearbeitet. Forschung und künstlerische Auseinandersetzung werden ermöglicht. Erst dann kann von einem “lebenden Archiven” gesprochen werden. Aktuell wird die Lebendigkeit des Archivs des Schwulen Museums in gleich mehreren Projekten spürbar.
Strategien der Resilienz – Einblicke in das Leben von Eberhardt Brucks
bis April 2025
Am 16. Oktober wurd die neue Ausstellung Strategien der Resilienz eröffnet. Diese Ausstellung wirft im Dialog mit zeitgenössischen künstlerischen Arbeiten neue Perspektiven auf das Leben von Eberhardt Brucks. Unzählige Zeugnisse erzählen von ihm, die sich in unserem Archiv befinden.
Ein Leben, das sich zwar nie im aktivistischen Rampenlicht abgespielt hat. Dennoch gab es immer wieder Schlupflöcher und Handlungsräume. In diesen waren Liebe, Solidarität, Freundschaft, Sexualität und auch Momente der Trauer möglich.
Neue Perspektiven auf das Leben von Eberhardt Brucks – in Dunkelgrün
“So bin ich und so bleibe ich”, sang Zarah Leander 1937, und Eberhardt Brucks machte daraus sein Lebensmotto. Bei der kuratorischen Frage gibt es eine Herausforderung. Wie stellt man resiliente Lebensfreude aus, die gegen historische Widerstände triumphiert hat? Neo Seefried hat in der schieren Größe des Brucksschen Nachlasses einen Ansatz gefunden:
“Ich interpretiere das Sammeln als ganz zentralen Punkt in seinem Leben. Brucks hat seit 1933 bis zu seinem Tod in der gleichen Wohnung gelebt und dort wirklich alles angesammelt an Erlebnissen, die er in seinem Leben gemacht hat: Postkarten, Briefe, allerlei Dokumente, Fotografien, seine eigenen Zeichnungen, aber auch banale Dinge wie Untersetzer oder Gläser.
Am Ende seines Lebens war die Wohnung vollgestopft. Dieses Vollgestopftsein hat bei ihm ein Gefühl des Eingebettetseins erzeugt. Ein weicher Ort und ein Schutz vor der Welt dort draußen.” Das erzählt neo im hörenwerten Interview mit Deutschlandfunk Kultur, in dem in knapp 15 Minuten einmal durch die gesamte Ausstellung geführt wird.
Young Birds from Strange Mountains – Queere Kunst aus Südostasien und seiner Diaspora
bis August 2025
Auch die kommende Ausstellung beginnt mit Sammlungen und archivierten Lebenszeugnissen. Von dort aus zieht das SMU – mandala-ähnlich – Kreise zu zeitgenössischen künstlerischen Positionen. Young Birds from Strange Mountains verspricht einen völlig neuen Blick auf queere Traditionen, queeres Wissen und queere Kunst aus Südostasien. Dieser Blick bleibt nicht im Exotismus hängen. Und übernimmt auch nicht die tradierten kolonialen oder die aktuellen nationalistischen Perspektiven.
“Das Archiv steht im Zentrum der Ausstellung, es enthält die Weisheit von Generationen und lädt die Besucher zur Erkundung ein”, beschreibt das kuratorische Team den Ausgangspunkt ihrer Arbeit, der im Laufe des Prozesses durch Community-Beiträge und schließlich durch aktuelle südostasiatische und diasporische Kunst immer weitere Kreise zog.
“Wir verstehen die Ausstellung als einen Raum zum Lernen und Verlernen, um zusammenzukommen, zu verstehen und den Geist zu spüren, während wir versuchen, die Frage zu beantworten: Was bedeutet es, südostasiatisch und queer zu sein? Deshalb behandeln wir alle Werke gleich, so wie wir unsere südostasiatischen Mitbürger*innen, ob Teil der Diaspora oder nicht, als Einheit betrachten.”
Baldiga – Entsichertes Herz
Auch der Film Baldiga – Entsichertes Herz von Markus Stein, der ab dem 28. November in den Kinos anläuft, ist ein Beispiel für die Lebendigkeit unseres Archivs. Regisseur Stein und Drehbuchautor Ringo Rösener haben gemeinsam mit Fotos, Tagebüchern und Interviewpartner*innen die Geschichte von Jürgen Baldiga erschaffen. Jürgen Baldiga nahm sich 1993 im Endstadium seiner aidsbedingten Krankheiten das Leben.
Vor diesem Prozess transkribierte Aron Neubert die Tagebücher. Außerdem wurde der gesamte Nachlass von Jürgen Baldiga in unserem Archiv recherchiert. Recherche des kompletten Nachlasses von Jürgen Baldiga in unserem Archiv voraus.
“Es gab zwar bereits die Fotobücher, also Baldigas persönlichen Kanon seiner Fotografien, aber wir wollten wissen, was auch darüber hinaus noch in den Kisten lagerte”, erzählt Markus Stein über den Beginn der Archivrecherche. Schließlich ist daraus ein Film entstanden, der mit Archivalien und Interviewsequenzen eine adäquat queere Lebenserzählung montiert.
Movie Screening & Talk
Am 1. Dezember, dem Welt-Aids-Tag, wird eine Vorführung des Films mit anschließendem Gespräch stattfinden. In diesem Gespräch wird unser Archiv-Mitarbeiter Romain Pinteaux von seiner Zusammenarbeit mit dem Filmteam erzählen. Er wird über die Aufgaben berichten, Archivalien aus der frühen HIV-Zeit für aktuelle Recherchen zur Verfügung zu stellen. Näheres dazu in diesem Newsletter unter “Veranstaltungen”.
Zum Schluss noch ein Hinweis in eigener Sache. Viele queere Kulturinstitutionen in Deutschland wurden Mitte der 1980er gegründet. Filmfestivals, Zeitschriften, und auch das Schwule Museum können auf eine mittlerweile 40-jährige Geschichte zurückblicken. Den runden Geburtstag der Siegessäule feiern wir aktuell mit unserem “Fundstück” (siehe unten).
#berlinIstKultur
Unseren eigenen 40. (im Dezember 2025) wollten wir eigentlich mit einem Rahmenprogramm begehen, das schon jetzt im Dezember starten sollte. Leider kamen uns die angedrohten Senats-Kürzungen im Kulturbereich dazwischen.
Wir versuchen im noch unscharfen Ist-Zustand, wenigstens ein Projekt zu verwirklichen. Darauf können wir nicht länger warten. Wir wollen Videointerviews mit den Personen aufzeichnen, die das Schwule Museum 1985 gegründet haben. In einem zweiten Schritt möchten wir mit diesen Erzählungen an die Öffentlichkeit gehen. Da sind wir wieder beim Thema des “lebenden Archivs”. Für die Finanzierung dieses Projekts haben wir eine Spendenkampagne auf betterplace ins Leben gerufen. Schaut euch die gerne mal an und unterstützt uns: jeder Beitrag hilft!
Einen schönen November wünscht
Euer SMU-Team!
Kürzungen im Kulturhaushalt des Berliner Senats hieß für uns auch: Weniger Zugänge zu Bibliothek und Archiv. #BerlinIstKultur
(Foto: mino Künze)
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