Das Wort „Zigeuner“ ist zweifelsfrei nicht unumstritten im allgemeinen und besonders in Zeiten von lauter werdender Nationalist*innen und Populist*innen kein wertfreies Attribut, sondern ein Relikt aus einer dunklen Zeit. So mag manch eine*r auch über den „Zigeuner” Baron von Johann Strauss aus dem Jahr 1885 denken. Allerdings hat sich die Komische Oper unter Regisseur Tobias Kratzer etwas dabei gedacht und verstanden, dass dieses Stück zum Diskurs gestellt und in das Heute transponiert werden muss. Kein leichter Akt für Oper und Akteure, dafür bietet der hochexplosive Stoff eine traumhafte orchestrale Untermahlung und jede Menge Gelenheit über die aktuellen Verhältnisse zu sinnieren.
Dabei gibt es mehr als eine Stelle an der die Zuschauer*innen bei den Partituren genauer hinhören sollten. Wollte Strauss damals schon politisch sein und das Publikum auf die Probe stellen? So gibt es in der Strauss Operette eine Gouvernante die in eindringlicher Manier von einer Vergewaltigung erzählt, eine andere Figur die durch ein heimliches Dokument die Lager wechselt und schließlich in dieser Version, eine Zeltstätte auf einer demontierten Bühne. Dazwischen liegt ein umgekippter Teller mit dem umstrittenen „Z-Schnitzel“. Alles in allem Bilder, die wir in einer anderer Form aus den aktuellen Medien kennen.
Flucht, Vertreibung, Gewalt und Krieg
Keine neuen Themen aber leider welche die über die letzten Jahre hinweg wieder an Relevanz gewonnen haben und uns näher sind als je zuvor. Auch wirkt die Operette weniger romantisch und heiter als die Besucher*innen es sonst von dieser Gattung erwarten würden. Eher wie ein Theaterstück, welches durch die perfekte Gesangstechnik der Sopranist*innen und Mezzosopranist*innen untermalt wird und dessen Drama sich vollends mit dem Kriegszug entfaltet. Vielleicht kein Dernier Cris, aber dafür ein Cris de Coer, was die politische Exposition betrifft. Zwar endet der Krieg in der Operette siegreich und die Männer kehren nach Hause, doch die besonderen Elemente und Highlights der Strauss Operette lagen in der Dramaturgie und in der reduzierten Ausführung des umstrittenen Werkstoffs. Den Männern ist die Kriegslust nach der Heimkehr zumindest vergangen. Auch der großspurige Schweinebauer wirkt irgendwie kleinlaut in seiner Arie über die begangenen “Heldentaten”. Dies wiederum verweist nicht nur auf die aktuelle Diskussion rund um das Heldentum der Ukrainer*innen, sondern stellt vor allem den Begriff des Helden komplett in Frage.
Und so löst sich die Liebesgeschichte der beiden Paare zwar am Ende in Wohlgefallen auf, doch die bittere Thematik um Vertreibung, Krieg und wachsenden Hass auf Minderheiten bleibt zurück. Auch gibt es keinen Vorhang der einen Anfang oder ein Ende markiert hätte. Das Szenenbild nutzte die simple Symbolik Saal und Bühne ineinander über gehen zu lassen und so die Besucher*innen mit in das Geschehen einzubeziehen. Einzig und allein die wiederaufflackernden Lichter des Saales beenden die volatile Vorstellung rund um eine verfolgte Minderheit auf der Suche nach dem Glück in kriegerischen Zeiten.
Der “Zigeuner”baron von Johann Strauss
Operette in drei Akten [1885]
Text von Ignaz Schnitzer
nach der Novelle Saffi von Mór Jókai
Dialogfassung von Tobias Kratzer
Am 30.Juni 2022 ist übrigens die voerst letzte Aufführung geplant. Wer Interesse hat sollte sich also schnell noch Karten sichern!
#Dialogue
2 responses to “Review: Der “Zigeuner”Baron”
[…] allem jedoch sollten die Stücke im 21. Jahrhundert nicht mehr verklärt, sondern kontextualisiert dargestellt werden. Barrierefreiheit beginnt schließlich immer auch im Kopf des Publikums. Mehr #Diversity auf den […]
[…] lässt zumindest viele Menschen aktuell in dunkle Zeiten zurück blicken, nicht nur von den Logen der Opernhäuser aus. Andere hingegen arbeiten am Comeback des weißen Mannes als solides und solitäres Ideal der […]