Live, international und barrierefrei fand das Pop-Kultur 2023 vom 30. August bis 1. September statt. Überall sind Menschen zu sehen die vor der Bühne tanzen, zwischen ihnen ist kaum mehr Platz frei. Der Andrang ist groß, besonders in ungewissen Zeiten und bei den zum Teil düsteren Progronosen mancher Stimmungsmacher für den kommenden Herbst. Doch an diesen Abenden wurde das Leben, der Sommer und das kollektive Wir zelebriert. Insgesamt feierten über 10.000 Menschen über drei Tage verteilt auf dem Gelände der Kulturbrauerei in den Außen- und Innen-Venues die Popkultur.
Live, International, barrier-free
So präsentierte sich Pop-Kultur bereits zum Opening, mit 21 downbeat, der RambaZamba-Hausband, mit Auszügen aus ihrem Commissioned Work »Berlin« einleiteten. Auch die Kulturstaatsministerin Claudia Roth begrüßte die Besucher*innen am 24. August im Palais in diesem Spirit:
Diese Bandbreite wurde in den rund 120 Veranstaltungen abgebildet, die vom Programmteam aus Yeşim Duman, Pamela Owusu-Brenyah und Christian Morin unter anderem mit Fokus auf die afrikanische Diaspora, queere und soziale Positionen oder postmigrantische Lebensrealitäten kuratiert worden waren.
In intimeren Venues konnten die FOKN Bois im besonderen mit nachdenklich-politischen Tönen, zum Beispiel zu den LGBTQIA-Rechten in Ghana, begeistern. Als letzter Act auf den Kulturbrauerei-Bühnen am Eröffnungsabend legten die kanadischen Punkrocker Metz mit dem fulminanten Gitarrenriffgewitter einen Rausschmeißer der besonderen Sorte vor. In einen roten Nebel getaucht, überzeugt das schnelle Tempo ihres Spiels ist und in ihren Bewegungen sichtbar, denn die Haare des Bassisten fliegen nur so in der Luft herum.
No ticket? Don’t some things are for free…
Am zweiten Festivaltag machte Fuffifufzich die Çaystube zu einer Mainstage. Sie jubeln der Künstlerin, Fuffifufzich zu, die auf der Bühne in wild changierendem Bühnenlicht mit Jeansjacke und dunkler Sonnenbrille performt. Man(n) betrachte auch den Perlenchoker von Vivienne Westwood, in 2022 ein Synomym für sexuelle Freiheit. Einige Menschen fotografieren und filmen; ihre Handys sind nur als helle Punkte in der feiernden und ansonsten dunklen Menschenmenge sichtbar. Für ihren Auftritt scharten sich unzählige Besucher*innen auf dem Hof der Kulturbrauerei, um die extra für Pop-Kultur konzipierte Bühne, welche auch ohne Ticket zugänglich war.
Pure Emotions
Ein Publikumsmagnet war der atmosphärisch-besinnliche Auftritt der pakistanischen Grammy-Gewinnerin Arooj Aftab, der für Schlangenbildung vor dem Palais sorgte. Die pakistanische Musikerin Arooj Aftab ist nur schwer zu erkennen. Dafür funkelt sie umso mehr mit ihrer Stimme und lässt die gespannt lauschenden Besucher*Innen in tiefe Gefühlswelten abtauchen.
Auch der amerikanische Rapper GoldLink war im restlos belegten Kesselhaus mitsamt Fanclub einer der Main- Highlights. Multitalent und US-amerikanischer Rapper GoldLink trägt ein weißes Rippshirt, sodass man seine Tattoos auf den Armen sieht und eine Silberkette um den Hals. Übrigens Codes der PoC Subculture und hardly copied by white folks. Auch er heizt der Menge ein und zieht die Gäste in den Bann der gelebten POP und Rap-Kultur.
Bei der Berliner Avantgarde-Pop-Band Painting zeigte sich die Vielfalt dann auch gleich als ein visueller Joyride. Vier Festivalbesucher*innen steuerten die Gaming-Welten der Commissioned Work »Painting White on White« live auf der Bühne an und wurden so spontan Teil der Performance. Apropos Netzwelt: Im Talk zwischen Carmelo Lo Porto, Jovanka von Wilsdorf und Tristan Littlejohn wurde NFTs auf den Zahn gefühlt, außerdem standen unter anderem Musiker*innen im Exil, musikalische Stasi-Verstrickungen und Jugendkultur im diskursiven Zentrum.
Highlights after Highlights
Als interaktives und kollektives Format war die Çaystube – unter anderem mit diversen Auftritten von Wa22ermann und Tama Gucci – an allen drei Tagen ein viel frequentiertes Highlight. Die kommisionierten Arbeiten »Karaokee Express« von gal sherizly & Như Huỳnh luden außerdem die unterschiedlichste Menschen ein, sich ebenfalls auf der Bühne feiern zu lassen oder einfach mitzusingen. So diente die Çaystube als Safer Space inmitten des bunten Festivaltreibens.
Cultural Appropriation & Social Discussion
Für vollbesetzte Kinosäle und Denkanstöße beim Publikum sorgten derweil spannende Talks wie »Artists off the Mainstream« mit M3NSA und Wanlov the Kubolor von den FOKN Bois, dem ghanaischen Rapper M.anifest sowie Musicboard-Residentin Poetra Asantewa oder »Ethik der Appropriation« mit Pop-Journalist Jens Balzer, Julian Warner alias Fehler Kuti und Journalistin und Wissenschaftlerin Aida Baghernejad.
No Panik, but Corona…
Ja, Panik traten doch noch auf. Zwar wegen eines Corona bedingten Ausfalls spontan in einer kleineren Besetzung, dafür aber umso verführerischer mit einer Saxophonistin. Ebenfalls kein Grund zur Panik: Oklou aus Frankreich, die durch ihre Synth-Pop-Klänge und die Bühnendeko das Kesselhaus in einen mystischen Wald voller Hoffnung verwandelte. MC Yallah und ihrem Beatmaker Debmaster, die mit einem powervollen Mix aus Conscious Rap, Grime, Punk und Trap neben musikalischer Wucht vor allem Liebe verbreiteten. Den berauschenden Abschluss des zweiten Festivaltages bescherte KABEAUSHÉ. Mit hypnotischer Leichtigkeit versetzte der Künstler aus Kenia das Publikum in Tanzekstase. Die Menge tobte und findet gemeinsame Momente der Freude, des Glücks und des kollektiven Spirits in den Liveacts.
Auch das Regenwetter an Tag drei konnte die Stimmung nicht vermiesen. Sehnlichst erwartete Auftritte von dem Künstler M.anifest, der ukrainischen Rapperin alyona alyona oder Future-Pop-Artist Hannah Diamond ließen das Publikum erstrahlen.
Der Talk »Nicht deine Inspiration« mit Graf Fidi, Adina Hermann, Rebecca Maskos und Amy Zayed ging der Frage nach, wie Menschen mit sichtbaren oder geistigen Behinderungen das sogenannte “Inspiration Exploitation” (Inspirationsausbeutung) erfahren und was wir tun können, um dieser entgegenzuwirken. Hierbei ist vor allem die Aneignung von marginalisierten Begrifflichkeiten oder Eigenschaften durch nicht davon Betroffene gemeint. Zwar ist dies ein Teil des Verständnisprozesses, geht jedoch zumeist auf die Kosten der betroffenen bzw. benachteiligten Gruppen. Zudem führt diese Aneignung durch die Vorteilnahme von nicht betroffenen Personen, zu weiteren Negierung und Stigmatisierung von bereits marginalisierten Gruppen in der Gesellschaft.
Last but not least…
Mit einem schweißtreibenden DJ-Set von BĘÃTFÓØT ist die achte Ausgabe von POP-Kultur am vergangenen Freitag erfolgreich zu Ende gegangen. Etwas verkürzt dieses Jahr, denn auch die Kulturszene muss sparen. Noch am selben Abend hatte BĘÃTFÓØT als Commissioned Work das Publikum zusammen mit den Drag-Performer*innen Kunty Klub farbenfroh und temporeich aufs Tanzen eingestimmt.
Zum Festivalabschluss lag ein großes Augenmerk auf den Commissioned Works. Das Berliner Avantgarde-Trio GEWALT lud mit »Du bist Gewalt« zu einer voyeuristischen Grenzerfahrung ein; im Gegensatz dazu erschuf K.ZIA mit »K.ZIAs Living Room Experience« einen Raum voller menschlicher Wärme und Zuneigung. Und Fotokünstlerin Sanni Est führte in »Photophobia« das Publikum in eine gleichsam heilsame wie beängstigende Welt in welcher die individuelle Transformation stattfand.
About POP-Kultur:
Katja Lucker, Festivalleiterin und Geschäftsführerin des Musicboard Berlin, zeigt sich begeistert vom achten Pop-Kultur Festival, bei dem sich erstmals seit der Pandemie auch endlich wieder der POP-Kultur Nachwuchs mitsamt Goethe Talents live treffen und austauschen konnte: “Angesichts des Rückstaus an Konzerten in diesem Sommer sind wir glücklich, dass so viele Menschen Lust hatten, mit uns POP-Kultur intensiv zu feiern und zu diskutieren. Mit dieser positiven Energie starten wir dann schon bald in die Vorbereitungen für 2023.“
#Dialogue
One response to “Inklusiv & immersiv: POP-Kultur Festival”
[…] die Kulturstiftung des Bundes gefördert. Die Kulturstiftung des Bundes wird gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Mit freundlicher Unterstützung der Martin Wong Foundation, P.P.O.W, New York, KAWS und der […]