ELON MUSK: EIN INFORMATIONSVIRUS
Die Informationsströme der Welt geraten auf gefährliche Weise in die Hände jener, die entschlossen sind, die Welt in eine Informationseinöde zu verwandeln. Sie werden sagen, das ist doch schon längst so. Medienkonzerne haben das Informationsmonopol schon lange an sich gerissen, kontrollieren den Nachrichtenfluss, bestimmen die Agenda und lenken Debatten.
Karikatür/Zeichnung: Serkan Altuniğne
– Ausge-X-t! Dank Gott!
Von Frankreich bis England, von den USA bis in die Türkei stehen unabhängige Medien am Rande der Bedeutungslosigkeit. Das ist richtig. Doch hatte sich in den letzten 20 Jahren für uns eine alternative Plattform entwickelt. Wer die Hoffnung in die traditionellen Medien verloren hatte, fand ein freieres Klima der Kommunikation in den sozialen Medien und ließ sich dort nieder.
Den Platz von Zeitungen und dem Fernsehen haben 2004 Facebook, 2005 YouTube, 2006 Twitter und 2010 Instagram eingenommen. Ja, auch diese Plattformen waren kein »Paradies«: Fake News, Hassrede und Propaganda verbreiteten sich dort in Windeseile, ohne dass etablierte Kontrollmechanismen und ethische Regeln vorhanden wären.
Trotzdem waren diese Plattformen ein freier Raum für das freie Wort von Menschen, deren Meinungsfreiheit eingeschränkt wurde. Die Übernahme von Twitter durch Elon Musk im Jahr 2022 markierte einen Wendepunkt in diesem fast 20-jährigen Prozess.
Der Tech-Milliardär entschied sich, Twitter zu kaufen, um den »Woke-Virus« zu bekämpfen. Woke ist ein Begriff, der ursprünglich für das Bewusstsein über Themen wie Geschlechteridentität und Rassendiskriminierung stand.
Twitter in eine manipulative Müllhalde, eine Plattform für Aggression und Hass
Aus Sicht amerikanischer Republikaner*innen war wokeness jedoch ein Produkt »radikal linker« Ideologie und deshalb »hochgefährlich«. Musk glaubt, seine transgender Tochter Vivian Jenna Wilson sei von dieser Ideologie verführt worden und hätte sich daher entschieden, ihr Geschlecht anzupassen. Überzeugt, dass dieser »Virus« über soziale Medien verbreitet wurde, entschloss sich Musk also Twitter zu kaufen. Gewissermaßen gab er 44 Milliarden Dollar aus, um das Unternehmen zu zerstören.
Wie leicht scheint es doch für reiche Menschen, die Medien zu manipulieren. Geld auf den Tisch legen, Berichterstattung stoppen und nach Gutdünken selbst beeinflussen. Unter Musk verwandelte sich Twitter in eine manipulative Müllhalde, eine Plattform für Aggression und Hass.
Trotzdem blieb Twitter in Autokratien, deren Medien unter staatlicher Kontrolle stehen, weiterhin eine bedeutende Kommunikationsplattform. Eine Art Rettungsanker, den Regierungen nicht erreichen konnten. Doch Musk tat, was diese Staaten nicht schafften, und holte diesen Anker ein.
eine effektive Medienplattform, deren Chef und einziger Angestellter ich selbst war…
Ich möchte eine persönliche Erfahrung aus dem letzten Monat schildern: Ich trat Twitter 2013 nach dem Gezi-Aufstand in der Türkei bei. Dieses junge Medium hatte sich damals als ernsthafte Alternative zu den regierungstreuen Medien etabliert.
Für uns, die wir aus Zeitungen und Fernsehsendern vertrieben wurden, bot es einen Raum, um sich auszutauschen, Ideen zu teilen und uns zu organisieren. Innerhalb von zehn Jahren hatte ich 5,5 Millionen Follower angesammelt, und ich führte eine effektive Medienplattform, deren Chef und einziger Angestellter ich selbst war.
Auch aus Deutschland und trotz eines türkischen Medienverbots konnte ich die Zensur der Regierung umgehen, meine Leser*innen erreichen und meine Meinung äußern.
Natürlich erkannte Erdoğan schnell die Macht von Twitter. Schon 2014 kündigte er an: »Twitter, Schmitter, wir werden sie alle ausrotten.«
»ausge-X-t«
Doch das gelang ihm nicht. Die damalige Twitter-Leitung beugte sich ihm nicht. Daraufhin begann Erdoğan, Twitter-Nutzer*innen im Inland zu bestrafen. Kritische Beiträge auf der Plattform hatten zur Folge, dass die Polizei vor der Tür stand.
Doch auf Konten im Ausland konnte weiterhin nicht zugegriffen werden – sehr zu Erdoğans Ärger. Und genau hier kam Elon Musk zu Hilfe.
Kurz nach dem Kauf von Twitter Ende 2022 traf Musk Erdoğan beim Finale der Fußball-Weltmeisterschaft und Erdoğan lud ihn in die Türkei ein. Fünf Monate später, im Mai 2023, fanden in der Türkei entscheidende Wahlen statt. Während der hart umkämpften Kampagne kündigte Twitter an, einigen Forderungen der türkischen Regierung nachzugeben und den Zugriff auf bestimmte Inhalte einzuschränken. Dies geschah angeblich, um Twitter in der Türkei weiterhin zugänglich zu halten.
Musk verteidigte diese Entscheidung mit der Erklärung, dass man das kleinere Übel gewählt habe, um eine vollständige Sperrung von Twitter zu verhindern. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass Twitter – zumindest für uns – »ausge-X-t« werden würde.
»Win-Win«-Spiel zwischen Musk und Erdoğan
Erdoğan gewann die Wahlen mit knapper Mehrheit, dank manipulativer Unterstützung in den sozialen Medien, angeführt von Twitter. Im September 2023 traf sich Musk erneut mit Erdoğan, diesmal in New York. Sie sprachen über den Bau der siebten Tesla-Fabrik in der Türkei. Als Musk das Treffen verließ, trug er das von Erdoğan »geschriebene« Buch Eine gerechtere Welt ist möglich unter dem Arm. In diesem »Win-Win«-Spiel zwischen Musk und Erdoğan waren wir natürlich die Verlierer*innen.
Am 23. Oktober erhielt ich die Nachricht, dass mein X-Konto in der Türkei gesperrt wurde. Mit meinem wurden insgesamt 177 Konten gesperrt. Ich kann zwar weiterhin posten, doch meine Follower*innen in der Türkei können meine Beiträge nicht mehr sehen. Auf meine Nachfrage erklärte X, das türkische Recht verpflichte sie, Verwaltungsanordnungen innerhalb von vier Stunden umzusetzen. Es ist also kein Gerichtsbeschluss für solche Maßnahmen notwendig, sondern lediglich eine Verwaltungsanordnung.
Die Regierung kann eine Sperrung anordnen, wenn ihr ein Beitrag nicht gefällt, und X folgt einer solchen autokratischen Entscheidung ohne weitere gerichtliche Prüfung. Natürlich kann die türkische Regierung solcherart Verwaltungsentscheidungen leicht in ein gerichtliches Urteil umwandeln.
Ein Anruf bei einem regierungstreuen Staatsanwalt genügt – manchmal ist das nicht einmal notwendig. Die Regierung befiehlt, die Justiz verbietet. Schließlich konnte ich nach einem Antrag meiner Rechtsanwälte den Gerichtsbeschluss auch einsehen.
»Copy-Paste«
Im Beschluss wird von keinem konkreten Beitrag meinerseits gesprochen; es wird lediglich allgemein behauptet, dass meine Nachrichten eine Bedrohung für die »öffentliche Sicherheit, die unteilbare Einheit des Staates« usw. darstellen. Wie Sie sich denken können, sind dies generische Anschuldigungen, die gegen alle Oppositionellen erhoben werden … In den meisten Verbotsbeschlüssen ist dies eine Formel, die per »Copy-Paste« verwendet wird …
Das wirklich Beängstigende daran ist jedoch, dass eine globale Medienplattform wie X diesen Mechanismus akzeptiert. Musk verbreitet also auf seiner Plattform, die er angeblich zur Bekämpfung des »Woke-Virus« gekauft hat, in Wahrheit das gefährlichste Virus: Die Zensur.
Unsere Beschwerde bei einem höheren türkischen Gericht wurde – wie erwartet – blitzschnell abgelehnt. Nun bleibt uns nurmehr der Weg zum Verfassungsgericht, der Jahre dauern wird, und anschließend der Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der ebenfalls viel Zeit beanspruchen wird.
Jetzt wurde bekannt, dass Musk einen Posten in der Trump-Regierung übernimmt, was das Problem noch weiter verschärfen und sichtbarer machen wird.
Massenabwanderung von X
Ich hoffe, meine persönliche Erfahrung konnte verdeutlichen, vor welcher Bedrohung wir stehen. Eine globale Bewegung ist dringend geboten, um zu verhindern, dass Plattformen wie X vollständig in den Dienst autoritärer Regime treten. Ebenso brauchen wir neue, effektive Plattformen, auf denen wir unsere Meinung frei äußern können.
Die Massenabwanderung von X hat direkt nach den Wahlen in den USA schon begonnen. Die Frage ist: Wohin werden wir gehen?
Übersetzung aus dem Türkischen von Çiğdem Özdemir
Maxim Gorki Theater
Am Festungsgraben 2
Berlin 10117 · Germany
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