Die für ihr interdisziplinäres Werk bekannte brasilianische Künstlerin und Forscherin Camila Sposati zeigt in der ifa-Galerie Berlin den zweiten Teil ihrer ersten Einzelausstellung in Deutschland. Der erste Teil von Atem-Stücke war im Mai diesen Jahres in der ifa-Galerie Stuttgart zu sehen. Die Ausstellung in Berlin stellt eine erneute Reise in die komplexen Zusammenhänge von Klang, Natur und die symbiotischen Verflechtungen von Kultur, Geschichte, Wissenschaft und Politik dar. Eine der faszinierenden Quellen, die Sposatis Arbeiten als Inspiration dienen, ist das Anatomische Theater und die elementare Erfahrung des Sezierens von Körpern.
Anatomische Theater entstanden zur Zeit der europäischen Renaissance im späten 16. Jahrhundert und waren spezialisierte Hörsäle, die für die Sektion und Obduktion von Leichnamen vor Publikum konzipiert waren. Sie spielten eine zentrale Rolle für Fortschritte der medizinischen Ausbildung und des Wissens über den menschlichen Körper. Für Sposati ist der Akt des Sezierens keine bloße historische Referenz, sondern ein philosophisches Konstrukt, das der physischen Konstruktion des Theaters selbst vorausgeht.
Die Ausstellung besteht aus 15 Exponaten, die aus ihren Recherchen in verschiedenen Regionen und Kulturen hervorgegangen sind. Sie nimmt selbst die Form einer anatomischen Sektion an, indem Sposati Geschichte, Materialien und elementare Kräfte untersucht und freilegt. Die Ausstellung beginnt mit einer Untersuchung von Kristallen, führt dann zur künstlerischen Metamorphose, die durch das ewige Feuer von Derweze inspiriert wurde (ein Krater in Turkmenistan, in dem seit 1971 ununterbrochen Erdgas verbrennt), setzt sich fort in der Anatomie des Anatomischen Theaters und findet ihren klanglichen Höhepunkt in der Serie von Instrumenten Phonosophia – einer komplexen künstlerischen Erkundung der tiefgründigen Philosophie des Klangs.
Sposati stellt gängige kulturelle Vorstellungen in Frage
Sposatis Interesse am Wesen des Klangs, dem sie in Phonosophia nachgeht, führt zu einem Erlebnis, das über das bloße Hören und Spüren hinausgeht, da sie Klänge als eine evolutionäre Form der Kommunikation über Generationen hinweg betrachtet. Zentrale Elemente der Ausstellung sind die Windinstrumente aus Keramik und Balata (eine Art Naturkautschuk) aus dem Amazonas-Gebiet.
Sie durchlaufen während des Ausstellungszeitraums in Berlin einen Transformationsprozess und werden zu etwas, das sich herkömmlichen kulturellen Kategorisierungen entzieht. Sie sind nicht mehr bloße Instrumente, sondern entwickeln sich zu rätselhaften Gebilden, die aktiv gängige kulturelle Vorstellungen in Frage stellen und die Bedingungen der Begegnung mit dem Betrachter bestimmen.
Grundlegend für Sposatis künstlerische Philosophie ist die zwingende Forderung nach einem Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung von Objekten, insbesondere wenn sie ethnografisch bedeutend sind. Sie ist der Ansicht, dass Objekte nicht der Kontrolle durch die Betrachter:innen unterworfen sein sollten, sondern selbst die Bedingungen ihres Betrachtetwerdens bestimmen.
Dieser Perspektivwechsel verleiht den Objekten eine aktive Rolle, indem sie die Betrachter:innen durch verborgene Bedeutungsebenen führen, die im Kontext von Berlin auf einzigartige Weise zum Vorschein gebracht werden. Atem-Stücke lädt die Betrachter:innen dazu ein, das komplexe Zusammenspiel von Elementen, Geschichte und den vielschichtigen menschlichen Erfahrungen mit einem neuen Blick zu sehen.
Atem-Stücke (Part II)
Camila Sposati
3. November 2023 – 4. Februar 2024
Eröffnung:
Donnerstag, 2. November 2023, 19.00 Uhr
Artist Talk:
Freitag, 3. November 2023, 16.00 Uhr, in Englisch
ifa-Galerie Berlin, Linienstraße 139/140, 10115 Berlin
Ein Gespräch mit der Künstlerin Camila Sposati, sowie den Kurator:innen Marcelo Rezende und Bettina Korintenberg findet am Freitag, 3. November 2023 um 16.00 Uhr in der ifa-Galerie Berlin statt (in Englischer Sprache).
Über die Künstlerin
Camila Sposati ist eine in São Paulo geborene Künstlerin und Forscherin. Sie hat einen Master-Abschluss in Fine Arts vom Goldsmiths College London und lebt derzeit in Wien, wo sie Stipendiatin des PhD-Programms der Akademie der bildenden Künste ist.
Ihre Arbeiten wurden unter anderem in der Kunsthalle Wien (2021), Tabakalera, Donostia-San Sebastian (2020), Pivô Arte e Pesquisa, São Paulo (2019), im Goethe-Institut São Paulo (2019), BAK – basis voor actuele kunst, Utrecht (2017), 10. Mercosul Biennale, Porto Alegre (2015), CCBB Centro Cultural Banco do Brasil, Rio de Janeiro (2015), 3. Bahia Biennale, Salvador (2014) und im Musée de la Chasse et de la Nature, Paris (2012) ausgestellt.
Sposati veröffentlichte das Buch Stone Theatre bei Revolver (Berlin, 2016). In ihrer Arbeit untersucht sie Transformations- und Energieprozesse auf mikroskopischer und globaler Ebene. Ihre Methoden ähneln dabei der wissenschaftlichen Forschung. Dabei stellt sie materielle und historische Prozesse einander gegenüber, um das Material in seiner formalen Zeit und seiner Bedeutung zu hinterfragen.
Ihre Phonosophia-Instrumente thematisieren die Umkehrbarkeit der Rolle von Objekt und Subjekt, was die Frage aufwirft, wer diese Akteure sind und was ein “Objekt” ist. Ihre Musikinstrumente legen ein besonderes Augenmerk auf die Bedeutung des Körpers der Musiker:in und des Instruments und darauf, wie diese Körper sich gegenseitig hervorrufen.
Der erste Teil der Ausstellung Atem-Stücke wurde vom 13. Mai bis 20. August 2023 in der ifa-Galerie Stuttgart gezeigt. Kuratiert von Marcelo Rezende und Bettina Korintenberg
Über die ifa-Galerien
Die Galerien des ifa – Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart und Berlin zeigen zeitgenössische Kunst aus einer globalen Perspektive. Postkoloniale Bewegungen werden ebenso in den Blick genommen wie künstlerische Reflexionen zu den Themen Migration, Umwelt und kulturelle Transfers. Die Welt aus einer Vielfalt und Pluralität von Perspektiven zu betrachten und neu zu erzählen, ist dabei zu einer Arbeitsweise geworden, mit der die ifa-Galerien emanzipatorische Prozesse, Interaktionen und künstlerische Räume gestalten.
Im Zentrum steht dabei die Entwicklung von langfristigen Beziehungen mit Künstler:innen, Partner:innen und Besucher:innen. Die Ausstellungen und Vermittlungsprogramme entstehen in einer gemeinschaftlichen Arbeitsweise, in der globale Verflechtungen aufgespürt und in einer anderen Erzählweise neu zusammengesetzt werden. www.ifa.de
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