Am 7. Juni 1905 gründeten Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel und Fritz Bleyl in Dresden die Künstlergruppe Brücke. Die vier Architekturstudenten wollten gemeinsam neue künstlerische Wege beschreiten und das Korsett des konservativen Bürgertums ihrer Zeit hinter sich lassen. In der Ausstellung sind Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Drucke aus der Anfangszeit des Kollektivs zu sehen, die von der Suche nach einem neuen künstlerischen Ausdruck zeugen, sowie wichtige Dokumente aus der Gründungszeit. In acht Ausstellungskapiteln werden die ersten Aktivitäten der Brücke vorgestellt. Das Werk von Fritz Bleyl, der die Brücke bereits 1907 verließ, ist heute weithin unbekannt und erhält in der Ausstellung besondere Aufmerksamkeit.
Ausgangspunkt: Das BArocke Bild Dresdens
Ernst Ludwig Kirchner und Fritz Bleyl beginnen beide 1901 – mit 21 Jahren – ihr Architekturstudium an der Technischen Hochschule in Dresden. 1904 begegnen sie dem drei Jahre jüngeren Erich Heckel, der ihnen Karl Schmidt aus Rottluff in der Nähe von Chemnitz vorstellt (Im Jahr darauf gibt sich dieser den Künstlernamen Schmidt-Rottluff.). Die vier jungen Männer gründen am 7. Juni 1905 die Künstlergruppe Brücke, wie es ihr Gründungsdokument bezeugt. Die Namensgebung ist unter anderem auf das barocke, von Brücken geprägte Stadtbild Dresdens zurückzuführen. Die Stadtansicht wird von Fritz Bleyl in Kreide festgehalten, von Kirchner in Holz geschnitzt und so in der Ausstellung zu sehen sein.
Fritz Bleyl, auf den die Ausstellung einen Fokus richtet, vertieft im Architekturstudium seine zeichnerischen Fähigkeiten. Ein räumlich geschulter Blick und eine präzise Linienführung prägen fortan sein Werk. Während seines Studiums besucht er regelmäßig Ausstellungen moderner Kunst. Im Frühjahr 1905, kurz vor der Gründung der Brücke, beendet er sein Studium mit der Diplomprüfung. Neben der Zeichnung und dem Aquarell wird die Druckgraphik für ihn zum wichtigsten Medium. Hiermit setzt er bedeutende Impulse für die Brücke. Viele der frühen Geschäftsgraphiken der Künstlergruppe gehen auf ihn zurück.
Entgegen der Tradition und mit einer intuitiven Arbeitsweise
1907 tritt er aus der Brücke aus und wählt einen bürgerlichen Lebensweg mit Familie. Dies könnte zusammen mit dem Festhalten an seinen stilistischen Vorbildern ein Grund dafür sein, dass sein Werk heute weithin unbekannt ist. Das Experimentieren mit verschiedenen Stilen prägt die Anfangszeit der Brücke.
Die Einflüsse sind vielfältig, sie reichen von der Kunst des Jugendstils und dem japanischen Holzschnitt bis hin zum französischen Impressionismus. Verbindende Elemente sind die Neuheit der künstlerischen Sprache und das Ziel nicht länger eine naturgetreue Abbildung der Umwelt ins Bild zu setzen. Besonders großen Einfluss hat auf die jungen Künstler die dynamische Malweise Vincent van Goghs, sichtbar etwa in dem Gemälde Mann in jungen Jahren von Erich Heckel.
Ernst Ludwig Kirchner und Fritz Bleyl treffen sich auch außerhalb der Hochschule regelmäßig zum gemeinsamen Zeichnen. Ab Juni 1905 nehmen auch Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff an den wöchentlichen Aktzeichenstunden teil. In diesem Rahmen entstehen zahlreiche Viertelstundenakte, in denen die Modelle für je 15 Minuten eine Haltung einnehmen. In der kurzen Zeit ist es unmöglich, eine präzise Zeichnung nach akademischer Tradition zu schaffen, sodass sie sich eine freie und intuitive Arbeitsweise aneignen. Hierbei ist das spontane Erfassen des Moments wichtiger als die exakte Wiedergabe der Wirklichkeit.
Kirchners Manifest im Holzschnitt für passive Mitglieder
Nur ein Jahr nach der Gründung veröffentlichen die Künstler ein Programm, das zum Beitritt aufruft und ihren Kreis erweitern soll. Das Manifest wird von Kirchner aufwendig in Holz geschnitzt und an ihre zahlenden, „passiven“ Mitglieder vergeben. Als einfacher Handzettel liegt er in ihren frühen Ausstellungen aus. Beide Exemplare befinden sich in der Sammlung des Brücke-Museums und werden in der Ausstellung gezeigt sehen.
Von Anfang an agieren sie sehr strategisch. In ihrem visuellen Auftreten sind sie ambitioniert und kreieren ein visuelles Erscheinungsbild für ihre vielfältigen Gruppenaktivitäten. So entwerfen sie unter anderem Signets, Briefköpfe, Einladungskarten aber auch Ausstellungsplakate. Auch Mitgliederausweise für Förder:Innen und Sponsor:Innen − die sogenannten “passiven Mitglieder” werden gestaltet.
Diese erhalten außerdem jährlich ein Konvolut von drei bis vier Originalgraphiken. Die erste dieser Jahresgaben erscheint 1906 und beinhaltet die Druckgraphiken Kauernder Akt von Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyls “Haus mit Freitreppe”, sowie “Die drei Schwestern” von Erich Heckel.
innovativer, kollektiver Ansatz und Gemischte Kritik
In den acht Jahren der gemeinsamen Aktivitäten organisiert die Brücke über 70 Ausstellungen. Ihre erste Gruppenausstellung eröffnet am 24. September 1906 an einem ungewöhnlichen Ort: dem reich bestückten Präsentationsraum der Dresdner Lampenfabrik Seifert. Die Resonanz auf die Ausstellung ist gemischt: Einerseits wird sie nur mäßig besucht, andererseits bespricht die Presse sie positiv. Vor allem aber führt diese erste Präsentation zu weiteren Ausstellungsbeteiligungen in Dresden und gilt – nicht zuletzt aufgrund des damals innovativen, kollektiven Ansatzes – als wegweisend für das 20. Jahrhundert. Viele Werke dieser ersten Brücke-Ausstellung sind jetzt im Brücke- Museum zu sehen.
1905: Fritz Bleyl und der Beginn der Brücke folgt auf 1913: Brücke und Berlin (2018) und 1910: Brücke. Kunst und Leben (2022), in denen zwei weitere prägende Jahre aus einer kulturhistorischen Perspektive thematisiert wurden.
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[…] durch die Ausstellung 1905: Fritz Bleyl und der Beginn der Brücke mit Karen Michelsen Castañón (Künstlerin und Kunstvermittlerin) und Theseas Efstathopoulos […]