Soziales Lernen: Menschen passen ihre Strategien flexibel an

,

Reading Time:

5 minutes

Summary

In Kürze:

Die Forschenden nutzten das Videospiel Minecraft, um soziale Lernprozesse in einer dynamischen, realistischen Umgebung zu untersuchen.

Die Studie zeigt, dass Anpassungsfähigkeit, d.h. der flexible Wechsel zwischen individuellem und sozialem Lernen, entscheidend für den Erfolg ist.

Mit neuen computergestützten Methoden zur Erfassung von Blickdaten und Modellierung von Entscheidungen konnten individuelle und soziale Lernstrategien präzise beschrieben und vorhergesagt werden.

Die Ergebnisse schließen eine Forschungslücke und zeigen, dass Menschen Lernstrategien dynamisch anpassen – ein wichtiger Faktor für die Gestaltung von Lernumgebungen und Informationsverbreitung in sozialen Gruppen.

Forschende nutzen das Videospiel Minecraft zur Erforschung des sozialen Lernens. Wer geschickt zwischen eigenem Lernen und der Beobachtung anderer wechselt, erzielt den größten Lernerfolg. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Mithilfe des beliebten Videospiels Minecraft untersuchten die Forschenden, wie Menschen persönliche und soziale Informationen bei einer virtuellen Nahrungssuche kombinieren. Die erfolgreichsten Teilnehmenden waren diejenigen, die ihr eigenes Wissen flexibel mit sozialen Hinweisen verbanden. Ihre Fähigkeit, sich an ständig wechselnde Bedingungen anzupassen, war entscheidend für ihren Erfolg.

Die besondere Fähigkeit, voneinander zu lernen, ist ein entscheidendes Merkmal der menschlichen Spezies. Soziales Lernen ermöglicht es Menschen, Informationen über Generationen hinweg schrittweise aufzubauen und zu erweitern. Wir sind in der Lage, Städte voller Wolkenkratzer zu bauen. Außerdem können wir Menschen ins All schicken und gemeinsam Heilmittel für Krankheiten entwickeln. Dennoch konzentrieren sich die meisten Studien, die sich mit den Mechanismen des sozialen Lernens befassen, auf relativ einfache, abstrakte Aufgaben. Diese haben wenig Ähnlichkeit mit realen sozialen Lernumgebungen.

Daher ist wenig darüber bekannt, wie Menschen persönliche und soziale Informationen in realistischen Kontexten dynamisch integrieren. Um dies zu untersuchen, entwickelte ein internationales Team von Forschenden des Exzellenzclusters Science of Intelligence (SCIoI), des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPIB), der Universität Tübingen und der New York University eine virtuelle Nahrungssuche im beliebten Videospiel Minecraft – einer aus dreidimensionalen Blöcken bestehenden Spielewelt. Die Studie zeigte, dass Anpassungsfähigkeit – also der flexible Wechsel zwischen eigenständigem und sozialem Lernen – der wichtigste Erfolgsfaktor ist.

„Soll ich allein erkunden oder mit der Gruppe zusammenarbeiten?“

Im Experiment steuert jeder Teilnehmende einen Avatar, der Minecraft-Blöcke zerstört, um Ressourcen (Wassermelonen oder Kürbisse) zu finden. Immer wenn eine Ressource entdeckt wird, erscheint ein blauer Funkenschauer, der anderen Spielenden soziale Informationen über den Standort weiterer Ressourcen liefern kann. Zu Beginn jeder Runde werden die Spielenden darüber informiert, ob sie allein oder in einer Gruppe von vier Personen spielen werden, die in Echtzeit miteinander interagieren können. Zusätzlich werden sie in zwei verschiedenen Umgebungen getestet.

In „regelmäßigen“ Umgebungen sind Ressourcen in Gruppen angeordnet, sodass mehrere Blöcke mit Ressourcen in unmittelbarer Nähe gefunden werden können. In „zufälligen“ Umgebungen sind die Ressourcen hingegen verstreut. Dies bedeutet, dass soziale Informationen in „regelmäßigen“ Umgebungen besonders wertvoll sind, da sie auf weitere Belohnungen in der Nähe hinweisen können. In „zufälligen“ Umgebungen haben soziale Informationen hingegen keinen Nutzen, da es kein erkennbares Muster gibt, wo die Ressourcen liegen.

Jede Spielerin und jeder Spieler versucht, die eigenen Belohnungen zu maximieren, anstatt ein gemeinsames Ziel zu verfolgen, und muss daher die richtige Balance zwischen individuellem und sozialem Lernen finden.

„Ein Spiel wie Minecraft zu nutzen, ist sinnvoll, weil es reale Herausforderungen simuliert. Zum Beispiel kann man immer nur einen kleinen Teil der virtuellen Welt sehen und muss sich daher entscheiden, ob man sich auf die eigene Suche konzentriert oder darauf achtet, was die anderen Spielenden tun, um von ihnen zu lernen. Das bedeutet, dass ich ständig vor der Wahl stehe: Folge ich meiner Intuition und suche allein oder nutze ich soziale Informationen, indem ich den Spielenden folge, die bereits etwas gefunden haben?“

Ralf Kurvers, Seniorautor der Studie und Senior Research Scientist am Forschungsbereich Adaptive Rationalität des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung.

Neue Tools zur Untersuchung der Interaktion zwischen individuellem und sozialem Lernen

Mithilfe einer neu entwickelten computergestützten Methode zur automatisierten Erfassung von Blickdaten konnten die Forschenden messen, welche Objekte, Ereignisse und Mitspielende von jeder Teilnehmerin und jedem Teilnehmer beobachtet wurden. Dies geschah mit einer Aufzeichnungsrate von 20 Datenpunkten pro Sekunde. Sie entwickelten ein Modell. Das Modell kombiniert, wohin Menschen schauen. Es zeigt, wie sie sich bewegen. Zudem analysiert das Modell, welche Entscheidungen sie bei der Nahrungssuche treffen.

„Einfach ausgedrückt können wir nun vorhersagen, welchen Block eine Person als Nächstes auswählen wird, indem wir individuelle und soziale Lernstrategien in einem gemeinsamen Modell zusammenführen“, erklärt Charley Wu von der Universität Tübingen. „Dieser neue Ansatz ermöglicht es uns, Lernalgorithmen moderner künstlicher Intelligenz mit flexiblen sozialen Lernmechanismen zu verbinden, die adaptiv aus dem erfolgreichen Verhalten anderer lernen.“

Warum dies von Bedeutung ist

Insgesamt schließt die Studie eine jahrzehntelange Lücke zwischen der Forschung zum individuellen und sozialen Lernen. Die Ergebnisse zeigen, dass Menschen nicht nur passive Imitatoren oder sture Individualisten sind. Vielmehr halten sie diese Strategien dynamisch im Gleichgewicht; adaptive Mechanismen des individuellen und sozialen Lernens verstärken sich gegenseitig und werden durch den individuellen Erfolg angetrieben.

Darüber hinaus war die Fähigkeit jeder und jedes Einzelnen, die individuellen und sozialen Lernstrategien anzupassen, der beste Prädiktor für die jeweilige Leistung. Dies unterstreicht, dass Anpassungsfähigkeit – und nicht starre Strategien – die treibende Kraft menschlicher Intelligenz ist.

Künftige Implikationen

Diese Arbeit trägt dazu bei, die kognitiven Mechanismen zu verstehen, die adaptives Lernen und Entscheidungsfindung in sozialen Kontexten steuern. Sie eröffnet neue Perspektiven für das Verständnis der Informationsverbreitung in Gruppen, der Entstehung neuer Innovationen und gibt Hinweise darauf, wie Systeme gestaltet werden können, die adaptives Lernen in sozialen Umgebungen besser fördern.

Originalpublikation:

Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung wurde 1963 in Berlin gegründet und ist als interdisziplinäre Forschungseinrichtung dem Studium der menschlichen Entwicklung gewidmet. Das Institut gehört zur Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V., einer der führenden Organisationen für Grundlagenforschung in Europa. Mehr dazu hier.

Text von Maria Einhorn 

#writtenby

Contributors Avatar

Sign in?
Stay tuned with the arts!

Subscribe to our newsletter and stay informed about current exhibitions and other topics of the Berlin cultural scene.

Read more about the handling of your data here.

Comments

Leave a comment.

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.

Discover more from B'SPOQUE magazine

Subscribe now to keep reading and get access to the full archive.

Continue reading