Paul Pretzer: “Zwischen Forelle, Farbe und feinem Nebel” 

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Im Vorfeld der Ausstellung trafen wir den Künstler Paul Pretzer mehrmals in seinem Atelier. Was ihn für seine neuen Malereien inspiriert, warum er sich neuerdings ans große Leinwandformat wagt und Wald- und Landschaftsmotive in sein Repertoire aufnimmt – das alles erzählt uns Paul an einem milden, nebligen Frühjahresmittag in seinem Kreuzberger Studio.  

Dabei reicht uns der begeisterte Natur- und Angelliebhaber gebeizte Forelle mit Dill gerollt in Crepeteig. Wir genießen gemeinsam und teilen seine Gedanken über die Kunst, die Malerei, den Menschen und seine Befindlichkeiten sowie über die Doppeldeutigkeiten von Humor und Tragik. 

Stefanie, Jette & Andreas

Ausstellung: „Don’t be afraid of love“

Apr 08 – May 17, 2025

Interview mit paul Pretzer

Aktuell schlagen sich die Menschen nicht nur in Berlin und Deutschland sondern rund um den Globus durch turbulente Zeiten. Da trifft dein Ausstellungstitel „Don’t be afraid of love“ mitten ins Herz. Wie kamst du auf diesen Titel? ”

Der Ausstellungstitel ist einem Songtitel von Otis Redding entlehnt und ist programmatisch und aufrichtig optimistisch gemeint. Wir müssen gerade alle sehr viel mehr Liebe und Zusammengehörigkeit wagen, um nicht irgendwohin in eine sehr schlechte Richtung abzubiegen und dann womöglich abzustürzen. ­

Der Titel der Ausstellung ist ja auch der Titel eines Bildes, auf dem ein Esel zögerlich über eine Felsklippe blickt. Sich ’’Fallen lassen“ kommt einem dann in den Sinn und auch Überwindung spielt eine Rolle dabei.  Also Liebe als rettendes Resultat einer schwierig erscheinenden Handlung.  

Ein bisschen wie in einem Song bei Whitney Houston:  

When you're feeling full of doubt 
And fear has got you in a bind
Love will save the day 
When your world's falling apart 
All you have to do is say a prayer 
And love will save the day ­

Nirvana, 2025
oil on wood
60 x 40 cm

­Zum EXPOSÉ­

Für die Ausstellung hast du beeindruckende und für dich ungewöhnlich großformatige Malereien auf Leinwand geschaffen. Diese vier Tableaus sind allesamt von einem bühnenartigen Setting aus dunkelgrünem dichten Baumbestand geprägt. Mal formen sich die belaubten Stämme zu einem Arkadengang, mal bilden sie von einem nebligen Dunst verhangene Lichtung.

Die Bilder basieren zum Großteil auf Landschaften und Orten, an denen ich selbst gewesen bin. Im Urlaub in Schweden, beim Pilze sammeln mit den Malerfreunden Bornstück und Grözinger in Brandenburg oder beim Waldspaziergang mit meinem Cousin und seinem Hund Locke in Ostwestfalen.  

Für mich ist der Wald ein „Happy Place“, also ein Ort mit dem ich hauptsächlich sehr positive oder intensive Erlebnisse verbinde. Während einer Artist in Residence in Kanada habe ich eine Grizzly Mutter mit ihren Kleinen beim Wandern getroffen. Da habe ich mal am eigenen Leib erlebt, was es heißt vor Angst zu zittern…  

Oder sie umrahmen als Hintergrund das Ufer eines Sees oder Teichs. Beruhen deine Waldmotive auf realen Vorlage deiner zahlreichen Artist-in- Residencies oder sind es völlig frei erfundene Settings? Was verbindest du persönlich mit dem Motiv des Waldes und der traditionellen Gattung der Landschaft? 

Wenn man es dann hinter sich hat, fühlt man sich sehr lebendig. Und du hast ja vorhin die turbulenten Zeiten angesprochen, die wir gerade durchmachen. Das Arbeiten an den Bildern war sehr beruhigend… eine Art mentales Refugium.  

Der russische Wandermaler Ivan Shishkin hat mich immer sehr fasziniert und der stand jetzt ein bisschen Pate bei diesen Bildern. Meine Tante hatte einen Katalog von der Ermitage zu Hause und das waren die ersten Abbildungen von Kunst, die ich gesehen habe. Das hat mich maßgeblich beeinflußt. Und als ich dann in der Kunsthalle in Kiel, wo ich anfing Kunst zu studieren, Bilder von Shishkin sah, hab ich das als Zeichen gesehen, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Das schwingt bei diesen neuen Bildern alles ein bisschen mit. 

Man kennt dich vor allem als Meister des Klein- und Mittelformats. Hierin spielst du mit den tradierten Gattungen des Porträts und Stilllebens. Eine beinahe zeichnerischen Detailverliebtheit ist darin zu entdecken. Bitte beschreib doch einmal die besondere Challenge für dich bei deiner künstlerischen Arbeit am Großformat im Vergleich zum vertrauten Kleinformat! Welche Unterschiede ergeben sich daraus für dich, angefangen beim motivischen Entwurf bis hin zur malerischen Ausführung? 

Bei den großen Bildern muss man ganz neue Formeln, Mittel und Wege finden. Man muss zum Beispiel eine Art und Weise finden “Baum” zu sagen ohne sich zu sehr in Details zu verlieren. Das war eine neue Herausforderung und auch willkommene Abwechslung zur Arbeit an den Stillleben und Portraits. Man muss dann auch plötzlich an die Fern’- und die Nahwirkung nachdenken. Beim kleinen Format gibt es ja eigentlich nur einen Betrachtungsabstand. 

Als Betrachter deiner Malereien empfindet man eine Mischung aus Sehnsucht, Schönheit und Befremden. Das liegt daran, dass du Figuren, Tiere, Objekte und Settings in deinen Tableaus miteinander zusammenbringst, die nach einem logischen Verständnis heraus, einander im Alltag oder in der Natur so nie begegnen würden. Ein Tiger im Laubwald, ein Esel, der eine Klippe hinabblickt statt davor zurückzuscheuen, ein Männchen mit Pelzchen stehend in einem nussschalenartig kleinen Boot … Ist dein Ansinnen, mit diesen surrealen Szenerien psychologisch Unbewusstes heraufzubeschwören? 

Dieser psychologische Moment ist mir sehr wichtig. Dieses Nicht Wissen, was da genau vor sich geht, ging oder gehen könnte. Die Wirkung der Bilder wird erst durch die Betrachter:in komplettiert. Das ist ein essenzieller Bestandteil meiner Arbeit. Jeder muss seinen oder ihren Teil „hineinfühlen“. Und um solch einen Resonanzraum zu schaffen, muss man die Gegenstände, Charaktere und Situationen sehr vorsichtig und gewissenhaft entwickeln. 

Was und welche Künstler inspirieren dich für deine Malerei? 

Der vollkommenste aller Maler ist für mich Félix Vallotton. Die Bilder sind perfekt komponiert und absolut jedes Detail hat seine formale Bewandtnis. Er hat ein großartiges Gefühl für Farbklang und Texturen und auch seine Holzschnitte gehören zum Besten, was in dem Bereich gemacht wurde. Er brilliert im Stillleben, dem Porträt und vor allen Dingen auch in der Landschaft.  

Dann möchte ich noch unbedingt den japansichen Landschaftsmaler Higashiyama Kaii erwähnen. Ich hatte mal das große Glück, zufällig in seine Ausstellung zu stolpern und bin seitdem total angetan von seinen duftigen Pinselstrichen.  

Und vor kurzem habe ich August Kopisch neu für mich entdeckt. Es hängen ein paar großartige Bilder in der alten Nationalgalerie und ich bin da jahrelang immer dran vorbeigelaufen und habe dem nie so richtig Beachtung geschenkt. Und plötzlich hat es Zoom gemacht. Und jetzt bin ich ganz hin und weg von den Pontinischen Sümpfen und der Delfinchoreografie…  

Irgendetwas in mir hat sich scheinbar geändert, sodass ich plötzlich empfänglich dafür war. ­

Zum EXPOSÉ

­­FeldbuschWiesnerRudolph Galerie
Jägerstraße 5  | 10117, Berlin
+49 30 69504142 
galerie@feldbuschwiesnerrudolph.de­ 

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