Met gala ’24: The Garden of Time

Poetry, Mood and Look

Ein feiner Graf namens Axel, gekleidet in einem Samtanzug, und seine Lebensgefährtin, die hier natürlich nicht namentlich erwähnt wird, leben zusammen in einer pompösen Villa. Wie es sich gehört, besitzen sie einen riesigen Garten, umrandet von großen Mauern. Eine Terrasse bietet den Blick auf den Garten, und genau unter dieser befindet sich das Herzstück des Gedichts. Hier wachsen Belladonnalilien, getragen von rund 2 Meter langen, dünnen Stängeln. Die Knospen im Herzen der Pflanze sind silberig glänzend.

Illumanting flowers

Diese Blumen bilden den Kern der Geschichte. Am Horizont der umgebenden Landschaft, welche hier als karg beschrieben wird, scheint jeden Abend eine riesige Menschenmenge näher zu rücken. Zu Beginn sind sie in weiter Ferne, derer Lärm nur als undefinierbares Rauschen wahrnehmbar ist. Doch sie kommen näher. Zwischen der Villa und der Menschenmenge befinden sich vier Dünen.

Die silbernen, kristallinen Belladonnalilien besitzen die Möglichkeit, die Zeit zurück zu drehen und somit die bedrohliche Menschenmenge für Stunden oder Minuten zurückzusetzen. Allerdings variiert dies je nach Blütengröße. Beim Entfernen der Blüten vom Stamm, erstrahlt die kristalline, silberne Schönheit der Blüte in ihre Umgebung und illuminiert augenblicklich. Eine Geste welche die Zerbrechlichkeit, Fragilität und das Verschwinden der Schönheit symbolisiert. 

The Silver Lining

Graf Axel pflückt am ersten Abend von einer Blüte. Die Blume verschmilzt in seinen Händen, lässt die Umgebung in einem fulminanten weißen, sphärischen Licht erleuchten. Beim Blick über die Mauern sieht er, wie die Menschenmenge kaum wahrnehmbar zurück in den Horizont verdrängt wurde. Seine Gefährtin kommt zu ihm in den Garten. Sie wird hier mit einem intelligenten Gesicht beschrieben. Sie trägt einen silberbestückten Haarreif und ein tiefausgeschnittenes Kleid, welches ihren langen, dünnen Hals, sowie ihr hohes Kinn betont.

Einige Abende später und bereits zahlreiche Belladonnalilien gepflückt, um die Menschenmenge fernzuhalten, blicken beide auf den Garten hinab und wissen, dass dieser früher oder später sterben wird. Es sind nur noch gut ein Dutzend Blüten rund um die Sträucher verteilt übrig. Eine düster-melancholische, romantische Stimmung verbreitet sich. Ein kollektives Wissen beider, dass die Schönheit des Gartens und ihrer Selbst dem Ende entgegen sehen.

Wenige Abende später war die Menschenmenge bereits deutlich sichtbar vorangekommen und hatte nun die erste Düne überschritten. Axel eilt hektisch in den Garten. Er pflückt eine Blüte, sie illuminiert in seinen Händen und erstrahlt in wunderschöner silberner Manier. Die Menschenmenge weicht zurück. Doch auch der Horizont scheint zu schwinden. Die Menschenmasse rückt unaufhaltsam näher. Seine Gefährtin nimmt die Angst deutlich wahr und möchte ihn beruhigen: 

„Noch so viele Blüten!“ 

Beauty and time

Das „noch“ spiegelt ihre Antizipation an ihrem eigenen Untergang wider. Blüte um Blüte wurde in den letzten Abenden gepflückt. Diese Blüten waren so klein, dass er manchmal zwei oder drei gleichzeitig pflücken musste. 

Am letzten Abend ließ sich noch eine letzte Blüte finden, der Garten begann zu sterben. Er war gezerrt von langen dünnen, gläsernen Sträuchern, die starr in den Himmel ragten. Seine Gefährtin fragte ihn, ob sie morgen die letzte Blüte zupfen dürfe und er sagte zu. Am Abend vermerkte Graf Axel, dass er im Namen beider die Blüten pflücken würde. Die Menschenmenge ist inzwischen nur rund einen Kilometer entfernt und deutlich wahrnehmbar. Der nächste Morgen brach an, beide bereiteten ihr Gemach vor, putzten, rückten, archivierten sich und ihre Habseligkeiten. Sie verbrachten sogar den ganzen Tag damit, welcher im Fluge verging. 

The illusion and its tragic end…

Inzwischen war es Abend geworden. Beide eilten in den Garten, die Menschenmenge war nun nur wenige Meter entfernt, Steine flogen gegen die Fassade, Axel warf schützend seine Schulter über seine Gefährtin, sie pflückte schnell die letzte Blüte und für einen Moment trat Stille ein. Sie hielt die in ihren Händen schmelzende Blüte fest – das brillante weiß-silberne Licht erleuchtete ihre von Angst geprägten Gesichtszüge und wieder kehrte für einen Moment Ruhe ein.

Die Menschenmenge erreichte die Villa. Eine Dunkelheit umschlang alles in kürzester Zeit. Pflanzen wurden zertreten, die Wände mit Steinen zerschlagen. Nur die dornigen Büsche der Belladonnalilien schienen das Trampeln zu überstehen. Die Masse war wohl abgelenkt von der riesigen Statue, die aus dem Busch hervorragte: sie zeigte einen bärtiger Mann in einer Jacke mit hohem Kragen, samt Stock unter dem Arm und nebst ihm eine Frau in einem langen Rockkleid, mit einem intelligenten Gesicht über ihrem langen Hals. 

In ihrer linken Hand hält sie eine Rose, dessen Blüte die letzten Lichtelemente der Dämmerung auffangen und auf die Statuen drum herum reflektierte. Für einen Moment mochte man die Statue nicht von den längst verschwundenen, literarischen Figuren zahlreicher anderer Romane zu unterscheiden. Ein tragisch-romantischer Tod beider, eingefangen in der Statue ihres Vorgartens.

Interpretation of The Garden of Time

Besonders der Garten macht im Gegensatz zur Villa der beiden einen sehr puristischen Eindruck. Ein kleiner Teich, eine weiße Brücke, die diesen überspannt – gegenüber ein dünner Pavillon. Die Zeitblumen oder Belladonnalilien werden hier mit einem kristallinen Inneren beschrieben, welches durch ein weiß-silbernes Licht illuminiert wird, wenn sie gepflückt werden.

Die Farbpalette für den Garten würde also in puristischen Weiß- und Pastelltönen liegen, kombiniert mit einem satten Blau symbolisch für den Teich. Hinzu käme das frische Waldgrün der umliegenden und vom Tau schimmernden Wiesen. Diese Töne könnten also während der Met Gala in diesem Mai präsent sein.

Die Belladonnalilien könnten ebenfalls durch kunstvolle Stickereien interpretiert werden. Das Transparente der Blüten als Body, der eng am Körper anliegt und durch organische Dornen nach außen ergänzt wird, könnte ebenfalls seinen Weg in die Gala finden. Abgerundet würde ein solcher Look mit einem “jewelled clasp”, wie ihn die Gefährtin des Grafen trägt. Solch eine romantische Interpretation könnte besonders von Designern wie Simone Rocha, Pier Paolo oder Maria Grazia Chiuri aufgegriffen werden.

And the Darker Side of the Poem…

Möglich wären auch dunklere Interpretationen, welche blutartige Farbtöne beinhalten, als Andeutung an die brutale Gewalt der Menschenmenge.

Eine weitere eher melancholische Interpretation wäre auch insofern naheliegend, da das Gedicht die endlose destruktive Beziehung des Menschen mit seiner Umwelt, aber auch anderen Mitmenschen, aufgreift. Mensch könnte aber ebenso die Banalitäten der heutigen Gesellschaft aus dem Gedicht ablesen. Das Gewimmel von Selfie-Sticks in Museen und die Dokumentationsgier der Touristen oder der Wunsch, so “remote” wie möglich zu leben und dabei ironischerweise neue Orte durch menschliche Hinterlassenschaften zu verpesten. 

Wenn einer diese Banalität in der Mode aufgreifen kann, dann ist es… richtig! Demna. Gut vorstellbar, dass er sehr direkte und offensichtliche Aspekte des banalen Umgangs der Menschen in einem Look präsentieren würde. Feuerfackeln zum Beispiel, für die barbarischen Geschehnisse der frühen Geschichte oder Selfie-Sticks als die modernere Interpretation der Mistgabeln.

Isolation or Poetry?

Auch das Aufgreifen der Isolierung durch die hohen Mauern wäre eine interessante Sichtweise: Diese könnten besonders bei männlich gelesenen Looks mit dramatisch hochgesteckten Lapels an Anzügen thematisiert werden oder universell in Kleidern und Oberteilen ausgedrückt werden, welche die von Rick Owens oft verwendeten, Halsumrahmenden Gebilde darstellen. 

Jedoch existiert ja natürlich noch die Villa, als Sinnbild für das Haus des Metropolitan Museum of Modern Art, welche als “schwungvoll” puristisch zu beschreiben ist. Schon in den Anfangsstrophen wird auf die Treppe im Rokoko-Stil hingewiesen. Der Kunststil des Spätbarock von 1720-1780 in Europa, verweist auf den Absolutismus der Modeszene aber auch ihre Widersprüche. 

Besonders im Rokoko sind Inneneinrichtungen asymmetrisch und schwungvoll verziert und gestaltet, ganz im Gegensatz zum streng symmetrischen Barock. Dies soll Leichtigkeit nach der Schwere des Barocks unterstreichen ohne sich vom Barock vollends zu befreien. Das Wort Rokoko stammt vom französischen “rocaille” und steht für die vielen muschelförmigen Verzierungen, die zu dieser Zeit im Interieur zu finden waren. es bedeutet aber auch umgangssprachlich „unförmig“, was wiederum viele John Galliano Details inspiriert haben könnte. 

The Entré

Die Villa ist großzügig gestaltet, ist wie die Räume der Met Gala. Graf Axels Frau spielte täglich am Cembalo. Beide besaßen Kunstwerke und eine große Bibliothek. Hier gibt es ein breites Repertoire an Möglichkeiten, die sich in der Couture der Gäste wiederfinden könnte. Selbst-ironische Symbolik, wie Bücher oder Musikinstrumente in Form von cleveren Stickereien, architektonische Schnitte und lange Schleppen oderverspielte Drapierungen, die sich wie Treppengeländer am Körper schmiegen.

Um etwas komplexer zu denken, ließen sich die Stücke, welche Axels Gefährtin auf dem Cembalo spielt, in Form von Musiknoten auf Kleidern. Anzügen könnten à la Alexander McQueen entweder in Form eines Trompe-l’œil oder mit einer innovativen Stickereien brillieren. Wir erinneren uns an  das Goutouir Coating bei der Artisinal Collection des Hauses Maison Margiela zum SS’24.

Gracefully light or melancholically dark?

Dies wird interessant zu beobachten sein, da sich hier die Frage stellen wird, ob die goldenen Elemente eine Symbiose mit der silbernen, kühlen Essenz des Gartens eingehen wird, oder ob zwei voneinander isolierte Arten von Looks an diesem Abend zu sehen sein werden – die naturalistischen Interpretationen des Gartens zum einen und Rokoko-Interpretationen des Anwesens zum anderen.

Thematisch übergreifend sind Looks, welche den Aspekt der Zeit aufgreifen, natürlich zu erwarten. Entweder in Form von offensichtlichen Symbolen wie illustrierte Uhren auf den Kleidungsstücken, oder die Form einer Zeituhr à la Dior. Abstrakter gedacht wären fließende Stoffe, welche den Fluss der Zeit versinnbildlicht, die nie “still” steht und sich immer bewegt. Außerdem Trompe-l’œil-Effekte, um die subjektive, individuelle Wahrnehmung der Zeit aufzugreifen. Zwei analoge Uhren übereinander legt und mit unterschiedlichen Zeigern versehen oder enge Korsagen, um das Einfangen der Gesellschaft durch zeitlichen Druck zu verdeutlichen.

Die von Axels Gefährtin gespielte Musik würde sich durch wunderschöne Stickereien auf langen Kleidern zeigen. Die gut ausgestattete Bibliothek könnte in Form eines komplexen Layerings der vielen Buchseiten interpretiert werden.

What will it be?

Viel Interpretationsspielraum also und definitiv Stoff, um zu träumen! Die Met Gala am 6. Mai wird sicherlich wieder ein facettenreiches Event. Das Gedicht, welches hinter dem Dresscode steckt bietet jedenfalls genug kreative Freiheit und regt zum Nachdenken über gesamtgesellschaftliche Entwicklungen an. Wie begegnen wir dem endlosen Zyklus des Schaffens und der Zerstörung?

Wird die Met Gala in diesem Jahr ein Event sein, welches nun sehr wahrnehmbaren Themen aufgreifen wird? Mode kann nämlich ein Sprachrohr, ein Katalysator für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen im aktuellen Diskurs sein und so eine Botschaft der Kritik werden. Oder werden wir eine Art “Escapismus” vorgelebt bekommen, wie es das absolute Fokussieren auf die romantischeren Aspekte des Gedichtes wäre? Wir werden es am Abend der Gala erfahren. Auch interessant wird sein, ob wir eine Symbiose warmer und kalter Farbtöne wahrnehmen werden? Oder ob beide isoliert voneinander ihre Momente haben werden? Sicher ist: das ein oder andere oben erwähnte Element wird garantiert bei der Gala gesichtet.

Mehr zum Museum gibt hier in aller Kürze auf Instagram.

Gökmen Akirmak Avatar

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