Elisabeth Strelnyk ist eine junge Frau voller Ambivalenzen, die sich nicht sofort auf den ersten Blick zeigen. Jüdisch, in Deutschland geboren und aufgewachsen, sind ihre Eltern in den 90ern aus der Sowjetunion ausgewandert. Sie beschreibt deswegen auch dieses Gefühl von Fernweh und Liebe zum Reisen und Kulturen kennenlernen.
Zugehörigkeitsgefühl in der jüdischen Tradition ohne Doktrin
Als Künstlerin und Mediengestalterin lebt und arbeitet in Berlin und hat sich neben der Kunst ein Standbein in der PR geschaffen. Es dauert ein bisschen, bis das Bewusstsein geschärft darüber ist, dass sie erst 22 Jahre alt ist und neben zahlreichen Stationen wie der Ronald Lauder Foundation aus New York City und der Arbeit in der Modebranche, schon einiges von der Welt gesehen hat. Bereits während ihrer Schulzeit hat sich Elisabeth intensiv mit den Wurzeln ihrer Familie beschäftigt und dabei die jüdischen Communities in London, Paris, Berlin, Rom, New York und Tel Aviv besucht.
Sie erzählt offen und frei heraus von der Crux, sich als junge Frau in einem immer enger werdenden Korsett aus ‚Ismen behaupten zu müssen. Wie viele Jüdinnen und Juden findet sich die Künstlerin ebenfalls mit dem Dilemma in einer Welt zu leben konfrontiert, die sich zunehmend vor der Pluralität von ambivalenten Meinungen verschließt. Zwar beharrt Strelnyk nicht darauf streng religiös zu sein, aber auf ihre eigenen Wurzeln achtend, verspürt sie den Wunsch ihre Kultur leben zu dürfen ohne dafür von außen angefeindet zu werden.
Gelebter Feminismus & die jüdische orthodoxie
Begonnen hat ihr Karriereweg und die Selbstentfaltung als Künstlerin unter anderem mit der Lehre der jüdischen Traditionen in einem jüdischen Gap Year Programm, welches ingesamt 11 Monate mit personal und professional development Kursen und vielen Reisen nach dem Abitur beinhaltete.
Das Fundament wurde aber weit früher schon in der Kindheit gelegt z.B. jüdischer Kindergarten, Jugendzentrum und dem Machanot (jüdische Reisen der ZWST, Deutschland). Werte die von philosophischer Natur sind, standen dabei im Fokus von Elisabeths Lehre der eigenen Herkunft und beeinflussen noch heute ihrer Auslegung von tradierter Theologie, sowie den Umgang mit der Shoa. Auch die Anwendung von praktischem Wissen gründet auf den teils abstrakten Werten, die mit der jüdischen Lebensweise und ihrer Lesart einher gehen.
Das Bild „Genesis“ – als Form des geschriebenen Wissens – bildet für Strelnyk hierbei einen philosophischen und visuellen Leitfaden für den Neubeginn der Menschheit und speziell für das Verständnis von jüdischer Kultur und visualisiert die Suche nach kultureller oder spiritueller Heimat. Sie versteht die Weitergabe dieses Wissens als Grundbedürfnis bzw. Grundrecht und nicht als Doktrin oder gar Verbotskatalog in einem jüdischen, orthodoxen und selbstbestimmten Leben.
Die Kunst gegen den Kommerz als Befreiungsakt
In ihrer Kunst stellt sie entgegen aller Tabus, die gekaufte Sexualität und die vorherrschenden patriarchale Strukturen auf den Prüfstand. Durch die Abstraktion und die gleichzeitig sehr plakative Darstellung ihrer Motive schafft Strelnyk in diesem Gemälde, gemeinsam mit Künstlerin Evelyn S. ein Werk, welches die Grenzen zwischen dem Unterbewussten und den propagierten Fakten der Machthaber verwischen.
Dabei verschiebt sie in dem Bild “Er will Rein(heit)” die Machtachse und ihre Asymmetrie wird neu beleuchtet. Zudem setzt sie ein klares Statement gegen die Reduzierung von Frauen auf sexuelle Objekte. Das Werk wurde speziell zum Thema “Gekaufte Liebe” der Vernissage von Not A Gallery in Berlin, angefertigt. Die Farben weiß und blau bedienen sich einer Symbolik, welche die Grenzen der Geschlechter erneut fließend ineinander übergehen lässt.
Das tiefe Blau bedeutet in diesem Kontext nicht nur Männlichkeit, sondern beinhaltet auch die Sehnsucht nach Frieden und stellt die Deutungshoheit des Patriarchats über den weiblichen Körper durch das Neuaushandeln der Selbstbestimmung aus der feministischen Perspektive in Frage.
Feminismus & Dialog für den Frieden
Während die Hauptsymbolik, die Darstellung der Vagina in weiß besonders auf die Reinheit und den Konflikt zu der Realität und der natürlichen Unkontrollierbarkeit des menschlichen Körpers kontrastiert, wird gerade in dieser Symbiose klar, dass der Feminismus noch weiter gegen veraltete Strukturen kämpft.
Reinheit, Unberührtheit und die Kontrolle gewisser Körperteile, hier durch die Farbe weiß vertreten, stehen noch immer im Gegensatz zu den Forderungen der Feministinnen nach mehr Selbstbestimmung über den eigenen Körper und bilden den Konterpart zu der mangelnden Selbstreflexion der maskulinistisch geprägten Lebensweise. Dass Frauen mehr wert sind, wenn sie sexuell “rein” oder “unberührt” sind, stellt die Künstlerin konsequent in Frage und setzt den Lebensstil selbstbestimmter junger Frauen der Objektifizierung als Konterargument entgegen.
Das Thema gekaufte Sexualität ist hierbei nur ein Teil ihrer farbintensiven und signifikanten Arbeiten. Wie in ihrem eigenen Umgang mit Sexualität innerhalb der religiösen Pflichten, lässt die Künstlerin auch hier Raum für die Betrachter*innen, um ihre eigenen Konflikte im Bezug auf Stereotypie der Geschlechterrollen oder wie in anderen Werken, den eigenen Vorurteile zu begegnen. Politik und Sexualität sind zwar nicht der primäre Fokus der Künstlerin, viel mehr geht es ihr um die Brücke und spannendem Kontrast zwischen ihren jüdischen Wurzeln und ihrem persönlichen Lebensweg.
Jüdische Tradition und Konvention aus einer progressiven Perspektive
Der Umgang mit der eigenen Weiblichkeit innerhalb der orthodoxen Lebensweise ist ebenfalls von der jüdischen Tradition geprägt, was das freie Ausleben der eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse nach modernen Maßstäben jedoch nicht entgegen steht. Anders als die streng orthodox lebenden Frauen, die wörtlich die Gebote der jüdischen Bücher auslegen, lebt sie ohne Perücke und zieht sich ihrem Alter entsprechend an, ohne dabei einen Widerspruch zu den kulturellen Bräuchen zu fürchten.
Innerhalb ihrer Periode nutzt sie die Zeit des Nidda, also den Aspekt sich zurück ziehen zu dürfen, um sich zielstrebig auf ihre berufliche Laufbahn zu konzentrieren oder sich mit der Pflege und der Reflexion ihres Körpers und des Geistes zu widmen. Zeit, die essenziell für ein Auskommen mit der eigenen Persönlichkeit ist, wie die Künstlerin es auf liebevolle und reflektieret Art und Weise beschreibt.
Der politische Diskurs und die sozialen Medien
Religion oder das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe sind für die Künstlerin kein Problem. So stellt Strelnyk zwar die Politik Israels in Teilen in Frage und positioniert sich gegen kriegerische Strukturen, erlebte jedoch selbst eine Form des Mobbings auf dem Schulgang und auf Sozialen Medien wie Facebook während ihrer Schulzeit.
Glücklicherweise wurde es für sie allerdings nie gefährlich, da es glücklicherweise zu einer Aussprache kam. Verständnis und die Aussage „der gegenüber ist nicht okay damit, dass wir so verschieden sind“ – brachten schließlich Akzeptanz und einen menschlichen Umgang mit Unveränderlichkeit in die heikle Angelegenheit.
Was sie an ihrem persönlichen Erfahrungsschatz immer wieder stört ist die Stereotypie mit der sie sich durch die Medien oder durch unreflektierte und anonymisierten Kommentare im Internet konfrontiert sieht. In ihrem persönlichen Umfeld hingegen wird Strelnyk nicht für politisches Wissen, Denken oder ihre jüdischen Wurzeln verurteilt.
In diesen geschützten Räumen der jüdischen Communities oder mit ihren Freund:Innen findet Strelnyk die Orte, die zum Teilen von frisch gebackenem Challa und anderen Bräuchen einlädt. Was den Konflikt zwischen Israel und Palästina betrifft, zeigt sie sich fest entschlossen eine Brücke zwischen den unterschiedlichen Standpunkten zu bilden.
Zukunftsvisionen und persönliches Leitmotiv als Vorbildfunktion
An sich unterscheidet sich im Lebensweg der Künstlerin vieles von dem ihrer Vorgängergeneration. Nur die Angst davor, dass es wieder zu einem Feindbild gegen die jüdische Kultur kommen könnte, ist ein Fakt der schwer von der Hand zu weisen ist für die ebenfalls russisch-sprechenden Künstlerin.
Allen negativen Erfahrungen zum Trotz bleibt Strelnyk optimistisch und arbeitet fokussiert an ihren tiefergehenden Botschaften innerhalb ihrer Kunstwerke, die zum Teil erlernte wie autodidaktische Fähigkeiten verbinden und der Methodik Strelnyks eine eigene Handschrift verleihen.
Auf die Frage, was sie jungen Künstler:Innen an die Hand geben möchte, antwortet Strelnyk frei heraus: „Lasst euch inspirieren und folgt eurem eigenen intuitiven Gefühl.“ Die Kunst ist für Elisabeth Strelnyk Leidenschaft und Ventil zugleich und eine Form dessen, was getrost als freie Entfaltung von Körper und Seele innerhalb tradierter Strukturen und kulturellem Wissens bezeichnet werden kann – ein Leitmotiv, dass sie sich bereits mit 22 Jahren hart erarbeitet hat.
Über die Künstlerin Elisabeth Strelnyk:
Aufgewachsen in Deutschland hat es die Künstlerin Elisabeth Strelnyk, die neben Deutsch und Englisch auch noch Russisch spricht, früh in die Welt hinaus gezogen. Immer auf der Suche nach Antworten über die eigene Herkunft, ist es die jüdische Kultur und der liebevolle Umgang mit tradierten Werten, die Elisabeth Strelnyk zur Kunst führten und ihr damit den Weg zu der renommierten Ronald Lauder Foundation ebneten.
Neben Städten wie Paris, London, New York, Rom und Tel Aviv hat Strelnyk vor allem in Berlin einen Ort gefunden an dem sie Kunst und jüdisches Leben miteinander verbinden und sich frei der Entfaltung persönlicher Themen widmen kann. Aktuell sind ihre Werke in Düsseldorf in der Königsallee und zuletzt bei Not A Gallery in Berlin ausgestellt.
Mehr über Elisabeth Strelnyk und ihre aktuellen Arbeiten finden Sie auf ihrer Website.
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