IM TEMPEL DER KÜNSTE

IM TEMPEL DER KÜNSTE

All readers, die sich gerne mit alternativen Lebenskonzepten auseinandersetzen kann ich das nächste Festival nur wärmstens empfehlen. Die Reihe Good To Talk in der Berghain Kantine.

Dear Reader, zum ersten Mal dürfte ich dem berühmt-berüchtigten Tempel Berlins einen Besuch abstaten und zwar nicht um mir die Seele aus dem Leib zu tanzen, sondern um mich den Künsten zu widmen. Ich spreche vom „Good To Talk Festival“ einem interdisziplinären Kunstfestival in der Berghain Kantine.

Good To Talk

Berlin und besonders das Berghain stehen bisweilen für eine sehr raue Art, besonders wenn es um offene Türen geht. Good To Talk hatte mich erst einmal damit überrascht sehr offen einen Journalisten mit Begleitung noch einen Tag vor dem Event auf die Gästeliste zu schreiben, was nur wenigen nebenan gelingen mag.

Spirituell war die Veranstaltung alle Mal, auch wenn sie nicht in den heiligen Hallen stattfand sondern im Nebengebäude, inklusive einer Atmosphäre die einem Gartensalon glich. Getreu dem Leitmotif verschiedene künstlerische Disziplinen zu verbinden, fanden die Besucherïnnen Anregungen visueller und gedanklicher Natur bei den zahlreichen Schnittstellen aus KI, Bio-Alchemie und Kultur.

Der Künstler Kaspar Andreasen—eine der ersten Schnittstellen die wir zu Beginn hatten—spann den Bogen seiner poetischen Existenz gleich in verscheiden Sprachen und erstaunte mich persönlich etwas, auch wenn das Motiv seiner Arbeit erkennbar der Kritik am kapitalistischen System gewidmet war. Nach Every Item On The List — A Reading Of The Proofs, in der Andreasen seine persönliche Lebensgeschichte anhand von Kassenbelegen, Flugtickets und anderen gedruckten Verpackungen dargestellt hatte, folgte ein kurzer Einblick in das Spotlight zum Thema Taming Of The Shrew — New Perspectives On Artists In Business durch Professor Dr. Berit Sandberg, einem Vertreter der Kunsthochschule HTW Berlin.

Nicht ganz Party, aber Kunst

Aus eigener beruflicher Erfahrung als Künstler im kommerziellen wie non-profitablen Geschäft, konnte ich allerdings abschließend anmerken, dass inhaltlich nicht viel gesagt wurde, was einer Person die ihren Lebensunterhalt kreativ bestreitet nicht bereits bekannt gewesen wäre. Schade eigentlich an dieser Stelle, jedoch ganz im Stile eines jeden Partyverlaufs hatte auch das Event erquickende und weniger spannenden Momente. 

Opening Note: „From Art World(s) To Art Industry — Key findings from the art market today“

Kein Grund sich zu ärgernd, denn zu Bestaunen gab es einige(s). Am späten Nachmittag war der Außenbereich wesentlich voller als die Appointments am Podium, was unter anderem daran lag, dass die Sprecher der Workshops ihre Zuhörerïnnen direkt mit einbezogen hatten und somit einen interdisziplinären Austausch ermöglichten. Wir verabschiedeten uns für einen kurzen Moment und kamen nach einer kleinen Verpflegungspause nochmals zurück in die Kantine um dem Ganzen einen frischen Blick zu geben. 

Editable Art

Der Workshop Edible Alchemy’s Microbial Circus — A Multi Sensory Experience zog uns und die anderen Besucherïnnen, die sich zu diesem Zeitpunkt am Fireplace eingefunden haben, direkt in den Bann: Alexis Goertz—die Gründerin von Editable Alchemy—erklärte auf fast träumerische Art und Weise, wie durch das Fermentieren von Lebensmitteln ein Teil unserer Fragen zur alternativen Lebensmittelproduktion beantwortet werden könnten.

Auch wenn dies keine neuartigen Erkenntnisse sind, so war die Begeisterung spürbar und Goertz hatte ihr Publikum im wahrsten Sinne angeregt, sich selbst mit den kleinen Lebewesen auseinander zu setzen. Das Fermentieren hingegen ist einer der ältesten Prozesse der Lebensmittelherstellung und bereits verschiedenen Kulturen aus aller Welt bekannt.

Persönlich hatte ich in diesem Moment einen blank, als es um das englische Wort für Sauerkraut ging, der Vortrag hingegen war nicht nur amüsant, sondern auch eine magisch angehauchte Biologie Stunde vom Feinsten. Neben einer kleinen Cambuca Verköstigung gab es auch exotisch anmutende Bakterienkulturen aus dem Gurkenglas und eine fast 150 Jahre alte Sauterteigkultur aus Island—die Goertz liebevoll „Cornelius“ nannte—zu bewundern und betasten.

Art and Fashion, neue Rollenbilder

Gegen Ende der Veranstaltung schien sich jedenfalls das aktuelle Bild unserer Gesellschaft zu manifestieren: „die Kunst in Deutschland ist tot, lang lebe die Kunst,“ so zumindest erregte die Diskussion zum Thema Art And Fashion — The New Friendship den Eindruck. Berlin steht zwar nach wie vor an erster Stelle, was kreative Lösungen betrifft, allerdings nicht dafür diese zu genügend in der Gesellschaft wertzuschätzen. Gezeigt wurden modische Kunstwerke gepaart mit durchaus skulpturalen Elementen und das Panel sprach über die Verwendung untypischer Materialien aus verschiedenen Bereichen.

Ein Appell der uns hätte wachrütteln sollen, es aber leider nicht tat. Denn die deutschen Bildungsinstitutionen vermeiden immer noch eine zeitgemäße Ausbildung, die über Traditionen hinausgeht und es schafft das Bewusstsein für verwendeten Ressourcen zu schaffen. So zumindest resümierten die beiden Sprecherinnen Luisa Kleemann und Alina Rentsch die zwanzigminütige Unterhaltung.

Beide Künstler*innen hatten an der Berliner Kunsthochschule Weißensee studiert — kontrastiert wurden die Designerinnen von dem Künstler Eric Winkler, der mit seinen Mahrzahner Label auf der Straße begonnen hatte und sich mit seiner Ästhetik, irgendwo zwischen dem Berlin der 00er Jahre und heutigem Zeitgeist einpendelt. Begutachten konnten die Besucherïnnen die Entwürfe Winklers ebenfalls auf der Terrasse neben dem Kamin, dort hatte er nämlich seine Collection in eine Art Installation verwandelt.

AI the new mainstream?

Da sich das #GTT auf zukunftsorientierte Fragen ausgerichtet hatte, wurde natürlich auch versucht der Frage auf den Grund zu gehen, was die Artificial  Intelligence—kurz AI—wirklich leisten kann und in welchen Disziplinen sie uns Menschen wohl ersetzen werde. Fazit des extrem detaillierten Talks AI Or No AI? war, dass sie nicht im Stande sei menschliche Kunst und das Irrationale, Intuitive eines einzelnen Individuums zu ersetzen — zumindest nach dem aktuellen Stand der Technik.

Die Aussage von Johannes Grabisch hingegen, könnte man auch als indirekten Seitenhieb gegenüber einer anderen Künstlerin des #GTT sehen; am Vormittag hatte Sara Lisa Vogel mit Your Guided Trip Into The Metaverse die Besucher in eine Virtual Reality geführt, welche Grabisch in seinem Panel als mainstream art beschrieb. Schön, dass also nicht alle einheitlich einer Meinung sein mussten an diesem Tag.

Fazit und Highlights:

Zum Ende des Diskurs resultierten jedoch alle einheitlich harmonisch, dass die Angst der Bevölkerung wächst und die Unsicherheit über den Zweck der Datenverarbeitung allgemein immer größer wird. KI scheint also doch nicht all unsere Probleme lösen zu können?

Commedy as truth

Die letzten beiden Highlights haben diese Bezeichnung auch verdient: Brutal ehrlich und komisch hatte die Illustratorin und Stand-Up Comedian Ingrid Wenzel, die Kunst hinter der Kunst in ihrem Spotlight An Artist Walks Into A Bar… — About Art And Comedy geschildert. Mit Hilfe ihrer Illustrationen erzählte sie die herzerwärmende Geschichte ihres Lebenslaufes und bewies, wie skrupellos die Profession zu ihren Anhängern sein kann und dass Humor eben immer auch subjektiv sein muss.

The reawakening

Gefolgt wurde das Spotlight von spiritueller Finsternis und einer Mixed Media Performance der Künstlerin Johanna Bruckner, die Contemporary Dance und eine Video Installation miteinander verband. Mit einem leicht verstörten Gefühl lies Bruckner ihre Zuschauer nach einer Viertelstunde zurück und schloss den Kreis rund um die Ästhetik eines Tages im bekanntesten Tempel Berlins.

Direkt anschließend wurde das klassische After Party Ritual durch DJ Orson durchgeführt und die Nacht in der kleinen Schwester des Hains eröffnet. ☆

Johana Bruckner

Good to Talk: Plattform and curated Festival

Das Good To Talk Format findet regelmäßig statt und erleuertet aktuelle Fragen der Kunstszene und vermittelt potentielle Lösungsansansätze für die Communities, Industrie und Clubculture.

PHOTOGRAPHY BY: EIKE WALKENHORST

#Dialogue

Eine Antwort zu „IM TEMPEL DER KÜNSTE“

  1. […] Aufgeschlüsselt wird die Rolle der Künstlichen Intelligenz, um besonders auf dessen Schlüsselrolle in der Fragen wie Staatssicherheit, digitalen Angeboten wie Computerspielen, Gesichtserkennung oder Sex-Roboter hinzuweisen. Die Empathie wird hierbei im Allgemeinen als Differenzpunkt zwischen Menschen und Maschine von Misselhorn in ein rundes Panorama gebracht. Problematische Fälle werden von der Autorin genauso unter die Lupe genommen, wie auch vermeintliche Vor- und Nachteile der Künstlicher Intelligenz. […]

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