Ernest Callenbach Ökotopia

Mit dem Klassiker der nachhaltigen Lebenskonzepte schuf Callenbach ein Werk, dass sowohl neue Ideen, wie traditionelle Lebenskonzepte unter die Lupe nimmt.

Zu Beginn des Buches Ökotopia, welches Reclam in einer hochwerten Hardcover Version neu aufgelegt hat, beschreibt Ernest Callenbach seine Zweifel über die „andere Weltsicht“ die in einem ausgeglichenen Verhältnis mit der Natur zu leben versuchen. Neben vielen Anekdoten, die der Autor in seiner Zeit in den zumeist kalifornischen und autonomen Kommunen von Ökotopia erlebt hat, beschreibt er eine ganze Welt voller Erfindungen und nachhaltiger Möglichkeiten. Zwischen politischen, sozialen und gesellschaftlichen Fragen wird von Callenbach, besonders das spirituelle und menschliche Gesicht einer Gesellschaft skizziert, die sich gegen schnellen Massenkonsum und die Verwendung von herkömmlichen sowie zum Teil auch organischem Plastik stellt.

Der harte Kampf um die fließenden Grenzen zwischen sozialem Wohlstand und ernster Nachhaltigkeit

Das Buch erschien berets 1975 und beschreibt eine Zukunftsvision, die sich der von nördlicheren Gesellschaften diametral entgegen stellt und dabei versucht Antworten zu geben, wie eine Neuordnung wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhänge gelingt und die gesellschaftlichen Bedürfnisse mit ein bezieht, sowie die Natur im Gleichgewicht hält. Einiges was Callenbach auf seiner Reise vorfindet, erinnert an die skurrile Zeit der Hippies, welche sich zwischenzeitlich politisch souverän organisiert haben und den Rückbau kapitalistischer Strukturen hin zu einem umweltfreundliche Konzept betrieben.

Zudem beschreibt Callenbach Teile der Ökotopier*innen als Gemeinschaft, die ebenfalls an die traditionelle Lebensweise von Urvölkern erinnert, die über Jahrhunderte hinweg die Natur als Teil ihres menschlichen Daseins betrachten. Doch auch bei den extrem unterschiedlichen Lebensentwürfen Ökotopias variieren die Ausprägungen zwischen Land- und Stadtleben, sowie die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse unterschiedlicher Berufsgruppen und politische Machstrukturen.

Soziale Gerechtigkeit als Teil des Gesamtkomplexes

Gleichheit wird in Ökotopia zum größten Teil über Allgemeinbildung und natürliche Zusammenhänge erörtet. Callenbach sprach für sein Buch auch mit hochrangigen Politiker*innen des Landes, sowie mit Expert*innen, die sich mit Zukunftsforschung und erneuerbaren, alternative Technologien befassen. Viele der umschriebenen Konzepte haben über die Jahre seit seiner Erstausgabe nichts an Relevanz verloren. Teil des Status Quo in Ökotopia sind hierbei die verschiedenen Rollen aller Mitglieder der Communities, die sich als Teil ihrer Bildung verpflichtend mit der Natur in allen ihren Facetten befassen und dabei ebenfalls patriarchale Strukturen unter die Lupe nimmt.

Selbst das Thema Krieg wird in der Gesellschaft Ökotopias ausführlich ausdifferenziert. Jedoch nicht auf die herkömmliche Art, sondern auf eine spielerische, symbolische Art und in Form von „Festspielen“, die einen echten Kriegsfall jedoch durch das Leiden des ebenfalls durch die Community verkörperten Feindbildes stellvertretend ausklammern. Was jedoch offen bleibt ist die Frage, wie die Gemeinschaft Ökotopias die inzwischen wieder akute Bedrohung durch Atomwaffen auf eine friedliche Weise lösen zu gedenkt.

Fazit:

Zwei ausgaben des Buches Ökotopia von Ernest Callenbach
Roman Neuübersetzung Übers. von Holger Hanowell Geb., bedruckter Einband. Format 12,5 × 20,5 cm 284 S. ISBN: 978-3-15-011417-9, ca. 24,00 € via Reclam

Das Buch von Ernest Callenbach beschreibt in eindrücklichen Erzählungen, wie hart der gegenseitige Kampf um das Überleben menschlicher Wertvorstellungen seit Jahrzehnten geführt wird und welchen Einfluss die von Menschenhand gemachte Energiebeschaffung und der Kapitalismus bereits 1975 vorangeschritten sein musste. Er zeichnet ein komplexes Bild über die Wiederaufforstung von Ökosysteme und deren gemäßigte Nutzung, sowie den Einfluss von Bildung auf tradiertes Wissen und dessen alltäglichen Einfluss auf die Mitglieder Ökotopias.

Soziale Auswirkungen

Neben Themen wie nachhaltiger Kleidung, Versorgung, öffentliche Verkehrsmittel, Politik und Wirtschaft, stehen in Callenbachs Meisterwerk auch die Folgen von sozialem Abstieg, der Verfall von ehemals florierenden Zentren und Großstädten, sowie die Bedrohung von atomaren Waffen gegenüber. Nicht unwichtig ist auch der Teil des Buches, welches sich mit den Folgen von Klassenkämpfen, dem Rassismus in der USA und Abhängigkeiten, sowie Separatismus auseinander setzt.

Persönliche Sichtweisen

Abschließend wird von Callenbach auch sein persönliches Dilemma innerhalb der Community beschreiben, welches der New Yorker Autor mit seinen persönlichen Ängsten und den komplexen Freundschaften während dieser Reise und dem Anflug von Liebe und seiner Beziehung mit Ökotopia konfrontiert. Ein spannendes, komplexes, wie zeitgemäßes Buch voller Ideen und Lebensweisen, die einer zweiten oder dritten Betrachtung bedürfen und durchaus einen Ansatz zu aktuellen Problemstellungen bietet.

Über den Autor:

Ernest Callenbach, geboren 1929 in Pennsylvania, war Schriftsteller, Filmkritiker und Universitätsdozent. Er galt als ökologischer Visionär. Sein Roman Ecotopia wurde in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt und erreichte Millionenauflagen. Er begründete die international renommierte Zeitschrift Film Quarterly (University of California Press) und hielt weltweit Vorträge zu ökologischen Themen. 2012 verstarb er in Berkeley (Kalifornien).

Ernest Callenbach, speaking at USF
Ernest Callenbach, speaking at USF, Uploaded by Magnus Manske

Der Übersetzer:

Holger Hanowell, geb. 1969, ist freier Übersetzer und Autor. Für Reclam hat er zuletzt George Orwells 1984 übersetzt.

Das Buch ist als Hardcover Version, sowie als Softcover und für e-books via Reclam verfügbar.

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